Ghostwalker 01 - Ghostwalker 01
einen Fehler begeht.“
„Weil er mich nicht gleich umbringen lässt?“ Sie sagte es ohne Überzeugung. Wenn sie eines wusste, dann dass Coyle ihr nie etwas tun würde und auch nicht wollte, dass ihr etwas geschah.
Amber verdrehte die Augen. „Ich glaube, ihr passt sehr gut zusammen – besonders was eure Starrköpfigkeit angeht.“
„Ich denke nicht, dass ich im Moment mit ihm verglichen werden möchte.“
„Ich weiß.“ Ambers Gesichtsausdruck wurde sanfter. „Es war falsch von ihm, dich auf diese Art wegzuschicken, ohne dir seine Beweggründe zu erklären oder sich ordentlich von dir zu verabschieden.“
Marisa bemühte sich, die Tränen zu unterdrücken, die schon wieder in ihren Augen aufsteigen wollten. Stumm sah sie Amber an.
Die blieb stehen und schickte Finn mit einer knappen Kopfbewegung fort. Die Schnelligkeit, mit der er ihrer unausgesprochenen Bitte nachkam, zeigte, wie wenig ihm solche Frauengespräche behagten. Besonders wenn es ausgerechnet um seinen besten Freund ging.
„Ich habe es zum ersten Mal erlebt, dass Coyle sich so in Gegenwart einer Frau verhalten hat. Als könnte er es nicht ertragen, auch nur eine Sekunde von dir getrennt zu sein. Als würdest du zu ihm gehören und als wäre deine Nähe ihm wichtiger als alles andere.“
„Davon habe ich heute Morgen nichts gemerkt.“ Marisa hatte Mühe, die Worte durch ihre enge Kehle zu bekommen.
„Was hat er zu dir gesagt?“
„Nicht viel, hauptsächlich hat er mir Vorwürfe gemacht, dass ich ihm meinen früheren Beruf verschwiegen habe.“ Marisa spürte, wie die Wut wieder in ihr hochbrodelte. „Als würde ich an so etwas überhaupt denken, wenn ich von Mördern verfolgt werde und fast sterbe!“ Etwas ruhiger fuhr sie fort. „Coyle muss sich vor allem um eure Sicherheit sorgen, aber ich hatte nicht erwartet, dass es ihm so leicht fallen würde, mich abzuschieben.“
„Um das zu verstehen, müsstest du ihn länger kennen. Für Coyle kommt die Gruppe immer an erster Stelle, es ist für ihn wie ein Reflex. Er hat nicht erwartet, dass ihm eine Frau so nahe kommen könnte, noch dazu eine Menschenfrau. Zum ersten Mal hat er nicht das getan, was am besten für die Gruppe war, sondern das, was er wollte. Was ihn glücklich gemacht hat. Schon seit seiner Jugend fühlt er sich für alles verantwortlich und vergisst dabei, selbst zu leben. Ich hatte gehofft …“ Amber brach ab und seufzte. „Ich könnte den anderen die Augen auskratzen, weil sie ihn wieder an sein verdammtes Pflichtgefühl erinnert haben.“
Marisa versuchte, das alles zu verdauen, doch Coyles Motive waren ihr immer noch nicht klar. „Warum glaubt er, er wäre für alles verantwortlich? Ist er euer Anführer?“
„Wir haben einen gewählten Rat, der die Entscheidungen für uns trifft.“ Sie machte eine Handbewegung. „Aber das ist jetzt nicht wichtig. Ich möchte nur, dass du versuchst, Coyles Beweggründe ein wenig zu verstehen. Er wollte dir nicht wehtun, das liegt nicht in seiner Natur. Und du kannst sicher sein, dass es ihm im Moment genauso schlecht geht wie dir.“
Marisa versuchte ein wackeliges Lächeln. „Danke, aber das hilft mir gerade auch nicht weiter. Ich wusste von Anfang an, dass die Beziehung nirgendwohin führen würde, aber das Ende hätte ich mir etwas weniger abrupt vorgestellt.“
Amber nickte. „Das verstehe ich. Es tut mir leid.“
„Danke.“ Und jetzt hatte Amber es auch noch geschafft, dass es ihr leidtat, sie nicht näher kennenlernen zu können.
Als hätte er gespürt, dass das Gespräch beendet war, trat Finn kurz darauf aus dem Unterholz. „Können wir weitergehen?“ Es war offensichtlich, dass er so schnell wie möglich zum Lager zurückwollte.
„Ich möchte euch wirklich nicht weiter aufhalten. Sagt mir einfach, in welche Richtung ich gehen muss und …“, begann Marisa, doch Finn unterbrach sie wütend.
„Glaubst du, wir würden dich hier schutzlos herumirren lassen? Coyle zieht mir das Fell ab, wenn dir etwas zustößt.“
Marisa konnte sich nicht erklären, warum ihr Herz bei dieser Bemerkung für einen Moment etwas leichter wurde. „Dafür will ich natürlich nicht verantwortlich sein.“
Finn stieß ein Brummen aus, das sie als Zustimmung deutete, und gab Amber ein Zeichen, wieder voranzugehen.
Etwa zwei Stunden später konnte Marisa die ersten Autos hören. Die Straße musste ganz in der Nähe sein. Noch vorgestern hätte sie sich nicht vorstellen können, einmal ungern aus der Wildnis in die
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