Ghostwalker 01 - Ghostwalker 01
es völlig still. Es war unheimlich, so als halte der gesamte Wald den Atem an und warte auf etwas. Kein Vogelgezwitscher, keine raschelnden Geräusche von Mäusen oder Eichhörnchen – Totenstille. Selbst als sie von den Leoparden verfolgt worden waren, hatte sie nicht dieses Gefühl gehabt, als wäre etwas ganz und gar nicht in Ordnung.
Unruhe erfüllte sie, die nichts mehr mit der Angst vor der Reaktion der Berglöwenmenschen zu tun hatte. Sie wusste, dass sie schon längst auf ihrer Spur gewesen wären, wenn sie gekonnt hätten. Doch es gab keine Konfrontation, keine Drohungen, keine Einschüchterung. Marisa trieb Angus zur Eile an, während langsam Angst in ihr hochkroch. Nicht um sich selbst, sondern um die Wandler.
Im Laufschritt hetzte sie durch den Wald und kam bald darauf auf einer Lichtung heraus, die sie sofort erkannte. Sie befand sich mitten im Lager der Berglöwenmenschen, doch es war niemand zu sehen. Die Stille war so vollkommen, dass sie sich nicht traute zu rufen. Versteckten sie sich vor ihr und hofften, dass sie von selbst wieder verschwand? Oder waren sie bereits weitergezogen, so wie Coyle es angekündigt hatte? Tränen traten in ihre Augen, als ihr die Konsequenzen dieser Möglichkeit bewusst wurden. Sie würde ihn niemals wiederfinden, wenn die Gruppe nicht mehr hier war.
Ein dumpfes Grollen neben ihr ließ sie zu Angus hinunterblicken. Sein Nackenfell stand senkrecht, seine Lefzen waren warnend hochgezogen. Leider konnte er nicht reden und ihr sagen, ob er auf den alten Geruch der Berglöwen reagierte oder auf etwas anderes. Da sie sich nicht in so offenem Terrain aufhalten wollte, ging sie in die Richtung, in der Coyles Baumhaus lag.
„Wir suchen jetzt Coyle, Angus. Erinnerst du dich an ihn?“
Angus sah sie aufmerksam an, aber sie konnte nicht sagen, ob er sie verstanden hatte. Also verließ sie sich auf ihr eigenes, zugegebenermaßen mangelhaftes Orientierungsvermögen, um die drei Bäume am Rand des Lagers wiederzufinden, in deren Kronen sich Coyles Hütte befand. Nachdem sie sich ein paarmal verlaufen hatte, stand sie schließlich vor dem gewaltigen Baum. Sie trat zum Stamm und sah nach oben. Erleichterung machte sich in ihr breit, als sie durch die Äste die Plattform erahnen konnte, auf der das Haus gebaut war. Die Leiter war nirgends zu sehen, aber das hatte sie auch nicht erwartet, Coyle schien sie selten zu benutzen.
„Coyle?“ Sie hielt ihre Stimme leise, da sie wusste, dass er sie hören würde, wenn er oben war. „Ich bin es, Marisa. Ich muss dringend mit dir reden. Bist du da?“
Es kam keine Antwort, nichts rührte sich. Wenn Coyle hier wäre, würde er sich nicht vor ihr verstecken, dessen war sie sich sicher. Ratlos drehte sie sich um. Vielleicht waren alle in der Höhle, aber ob sie den Weg dorthin finden würde, war fraglich. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr und wirbelte herum.
„Angus!“
Der Hund hob den Kopf, ließ sich aber nicht dabei stören, sein Bein am Baum zu heben. Marisa stieß einen tiefen Seufzer aus. Coyle würde sie umbringen, wenn er das roch. Oder Angus.
Energisch zog sie an seiner Leine. „Komm, such dir einen Baum aus, der nicht bewohnt ist.“
Angus zog eine Augenbraue hoch und wackelte noch einmal mit dem Hinterteil, bevor er gemächlich zu ihr schlenderte. Es war klar, was er damit sagen wollte: Die Katze ist in mein Haus gekommen und hat sich da breitgemacht, warum soll ich nicht ihr Revier markieren?
Marisa schüttelte den Kopf. In jeder anderen Situation hätte sie das lustig gefunden, aber im Moment machte sie sich dafür zu viele Sorgen. Denn selbst wenn irgendwo eine Versammlung stattfand, hätten die Berglöwenmenschen sicher Wachen aufgestellt und das Lager nicht schutzlos zurückgelassen. Angst griff nach ihrem Herzen, als ihr bewusst wurde, was das heißen musste: Sie waren tatsächlich fort. Und sie hatten ihr ganz sicher keine Landkarte mit den Koordinaten dagelassen. Außerdem gab es so viele Berglöwen- und Menschenspuren, dass Angus nicht einer einzelnen folgen konnte – zumal sie nichts von Coyle besaß, an dem er die Witterung hätte aufnehmen können.
Oder doch? Musste Coyle nicht Geruchsspuren hinterlassen haben, als er den Baum hinaufgeklettert war? Vielleicht würde Angus das reichen, um ihn zu finden. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs gering war, musste sie alles versuchen, bevor sie aufgab und nach Hause zurückkehrte. Sonst würde sie sich immer fragen, ob sie nicht doch noch
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