Ghostwalker 01 - Ghostwalker 01
der Wissenschaft mussten schon immer Opfer gebracht werden.
Henry stieg die Treppe hinunter und schaltete den Monitor an, der das Bild von der Überwachungskamera zeigte. Der Jugendliche lag still da, die Augen geschlossen, kein Zeichen einer Veränderung sichtbar. Obwohl er nichts anderes erwartet hatte, stieg wieder Ärger in ihm hoch. Gowan hatte ihm versichert, dass es sich bei dem Jungen um ein Exemplar der unbekannten Spezies handelte. Wenn er nicht für einen kurzen Moment die Beherrschung verloren und ihn gebissen hätte, wären Henry wohl Zweifel gekommen, ob nicht ein schwerwiegender Fehler vorlag und er seit Tagen einen richtigen Menschen misshandelte.
Er schüttelte den Gedanken ab. Wenn Gowan übermorgen die anderen Exemplare lieferte, würde er schon bald Ergebnisse erzielen und niemand konnte ihn mehr aufhalten. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er würde bekannt werden, eine Koryphäe auf diesem Gebiet, und seine ach so geschätzten Kollegen würden vor ihm kriechen, damit er ihnen ein paar Wissensbrocken hinwarf. Diese Vorstellung hob seine Laune beträchtlich.
Fast vergnügt suchte er die Stelle der Aufzeichnung, an der er sehen konnte, wie er selbst das Labor verließ. Henry zog den Stuhl unter dem Schreibtisch heraus und ließ sich hineinsinken, während sein Blick gebannt am Monitor hing. Der Jugendliche sah ihm hinterher, als er den Raum verließ, und der Ausdruck in seinen Augen war derart mörderisch, dass Henry froh war, ihn nicht bemerkt zu haben. Er sollte beim nächsten Mal darauf achten, dem Jungen nie den Rücken zuzudrehen. Wenn er sich von den Fesseln befreite, konnte er Henry überwältigen und sogar töten, egal, wie schwach er auch sein mochte. Es gab keinen Grund, jetzt unvorsichtig zu werden, dafür stand er zu kurz vor dem Ziel. Einige Minuten ließ Henry das Band auf Normalgeschwindigkeit laufen, doch dann wurde es ihm zu langweilig, dem Jugendlichen beim Schlafen zuzusehen. Er rührte keinen Muskel, seine Augen blieben geschlossen. Schließlich schaltete Henry auf Schnelldurchlauf, bis er beim Ende ankam.
Der Moment war so kurz, dass er ihn beinahe verpasste. Er spulte noch einmal zurück und beugte sich vor, den Blick gebannt auf den Bildschirm gerichtet. Der Junge öffnete die Augen, sie weiteten sich, dann blickte er zweimal zur Kamera hinauf, bevor er die Augen wieder schloss. Enttäuscht atmete Henry aus. Wahrscheinlich hatte er einfach nur einen schlechten Traum gehabt und war aufgewacht.
Gerade wollte er das auf Pause geschaltete Bild wegklicken, als Henry etwas bemerkte, das er nicht erwartet hatte. Die Augen des Jugendlichen waren wieder geschlossen, dafür regte sich etwas in seiner Hüftregion. Wie konnte er unter solchen Bedingungen eine Erektion bekommen? Gut, es war nur die Andeutung, aber dennoch unübersehbar.
Natürlich konnte es die Folge eines Traums sein, eventuell sogar noch vom LSD ausgelöst, doch es lohnte sich vielleicht, die kurze Sequenz noch einmal abzuspielen. Das ungute Gefühl, irgendetwas Wichtiges übersehen zu haben, ließ ihn einfach nicht los. Aufmerksam verfolgte er erneut, wie sich die Augen des Jungen öffneten. Etwas wie Überraschung stand in ihnen, während er zur Tür blickte. Dann folgte ein Blick zur Kamera, und er wiederholte die Bewegung noch einmal, bevor er das Kinn senkte. Das war der Moment, in dem ihn irgendetwas zu erregen schien, nach seiner körperlichen Reaktion zu urteilen.
Henry hielt das Bild an und beugte sich vor, bis seine Nase fast den Monitor berührte. Das Blut wich aus seinem Gesicht, und er fluchte lautlos. Was hatte Isabel dort unten im Keller zu suchen?
Nur sie konnte es gewesen sein, denn er selbst trug keinen gemusterten Rock. Ein Zipfel davon war jedoch eindeutig für einige Sekunden ins Blickfeld der Kamera geraten. Und es war ja auch sonst niemand im Haus. Daher konnte es nur diese eine Erklärung dafür geben: Isabel war seinen Anweisungen nicht gefolgt, sondern hatte in seiner Abwesenheit das Büro betreten und dann irgendwie die Geheimtür und damit das Kellerlabor entdeckt.
Schweiß bildete sich auf Henrys Stirn, während er über die Konsequenzen nachdachte. Wenn seine Tochter wusste, dass er den Jungen gefangen hielt, was tat sie dann jetzt? Würde sie irgendjemanden darüber informieren? Oder hatte sie das vielleicht schon getan?
Er sprang auf und lief im Vorraum auf und ab. Krank, pah! Wahrscheinlich war ihr das schlechte Gewissen an der Nasenspitze anzusehen, und sie
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