Ghostwalker 01 - Ghostwalker 01
würde.
Als sie die Augen schloss, sah sie sein Gesicht vor sich, seine seltsam schräg stehenden Augen, die angehobenen Mundwinkel, als würde er sich über etwas amüsieren. Mit einem tiefen Seufzer griff sie wieder zum Schlüssel. Wenn sie hier weiter herumstand, würde sie ihn nie finden. Vielleicht … Sie zuckte zusammen, als ein Schatten auf sie zukam. Automatisch duckte sie sich, obwohl sie von Glas und Metall geschützt war. Im letzten Moment zog der Adler hoch und stieß einen durchdringenden Schrei aus. Marisas Herz begann zu hämmern, ihre Finger glitten wie von selbst zurück zum Zündschloss. Wahrscheinlich war es Wahnsinn, aber sie würde die realistische und vernünftige Journalistin in sich ausschalten und gegen jede Vernunft darauf setzen, dass der Adler sie zu Coyle führen konnte. Hörte man nicht immer wieder, dass Delphine ertrinkende Menschen retteten? Vielleicht galt das Gleiche für Adler und verfolgte oder verletzte Menschen. Marisa schüttelte den Kopf. Die Aufregung hatte ihr anscheinend nicht gutgetan, anders konnte sie sich dermaßen abstruse Gedanken nicht erklären.
Noch einmal flog der Adler durch das Scheinwerferlicht, dann verschwand er wieder im Dunkel der Bäume. Behutsam lenkte Marisa den Jeep über das unebene Gelände und wich so gut es ging allen Hindernissen aus. Sie verzog den Mund, als ein Zweig über den Lack kratzte. Wem immer das Auto gehören mochte, würde nicht sehr glücklich über ihre Spritztour sein, soviel war sicher. Die Vorstellung, dadurch wieder mit der Polizei in Berührung zu kommen, verstärkte ihr Unbehagen. Aber das war im Moment unwichtig, es zählte nur, Coyle zu finden und sie beide in Sicherheit zu bringen. Marisa ließ das Fenster bis auf einen kleinen Spalt wieder hochfahren und verriegelte die Türen, damit niemand sie überraschen konnte. Inzwischen war sie auf dem Kamm angekommen, den sie vorher zu Fuß überwunden hatten. Von Coyle war nichts zu sehen, vermutlich war er in die andere Richtung gelaufen. Abwärts würde sie in der Dunkelheit nicht fahren können, weil die Gefahr zu groß war, dass sie in ein unsichtbares Hindernis fuhr und stecken blieb.
Sollte sie hupen? Sicher würde Coyle sie hören, doch was brachte das, wenn sie damit auch die Mörder anlockte? Andererseits hatten sie sicher bereits das Motorengeräusch gehört und würden sowieso früher oder später hier auftauchen. Wo war der verdammte Adler abgeblieben? Erst war er nicht abzuschütteln und jetzt, wo sie ihn brauchte … Ein weiterer Schrei des Adlers übertönte das Motorengeräusch. Entweder konnte das Vieh Gedanken lesen oder es hatte ein unübertroffenes Timing. Marisa versuchte, sich zu orientieren, und fuhr dann langsam weiter in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Angestrengt starrte sie in die Finsternis jenseits ihrer Scheinwerfer. Bewegte sich dort etwas zwischen den Bäumen? Frustriert hieb sie mit der Hand auf das Lenkrad, als es ihr nicht gelang, etwas zu erkennen. Was sie hier trieb, war reine Zeitverschwendung – Zeit, die Coyle vielleicht nicht hatte. Wenn sie wenigstens Angus dabei hätte, der mit seiner feinen Nase Coyles Spur sicher hätte aufnehmen können. Aber allein war sie im Dunkeln und ohne entsprechende Ausrüstung völlig nutzlos. Sie würde zurückfahren und mit der Polizei oder wem auch immer zurückkommen müssen.
Sie brachte den Geländewagen zum Stehen und legte den Rückwärtsgang ein. Vorsichtig rollte sie zurück, bis sie den Wagen in der richtigen Position zum Wenden hatte. Gerade als sie ihren Kopf wieder nach vorne wandte, flog der Adler so dicht über ihre Scheibe hinweg, dass sie deutlich hellere Bänder in den Schwanzfedern erkennen konnte. Einen Augenblick lang sah sie ihm hinterher, während er abdrehte und sich in immer größer werdenden Kreisen in die Höhe schraubte, bis sie nur noch seine winzige Silhouette vor der Scheibe des Vollmonds sehen konnte. Was würde sie dafür geben, jetzt an seiner Stelle zu sein, einfach alles hinter sich lassen zu können und sich in der Weite der Nacht zu verlieren.
Ein lautes Krachen ertönte, gefolgt von einem dumpfen Geräusch, der Wagen schaukelte wild hin und her. Erschrocken riss Marisa den Kopf zur Beifahrertür herum, von wo der Lärm gekommen war, und starrte direkt in Coyles Augen. Ihre Erleichterung wandelte sich in Entsetzen, als sie das Blut auf seinem Gesicht und das zerfetzte T-Shirt sah. Er rutschte an der Beifahrerseite herab und verschwand aus ihrer Sicht. Ein
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