Ghostwalker 01 - Ghostwalker 01
der Adler wieder den Weg ab, also rutschte sie den kleinen Abhang hinunter und landete auf dem unebenen Sandweg, der das Grün der Sportstätte umgab. Diesem folgte sie in Richtung der Gebäude. Es brannte nur eine schwache Laterne neben den Häusern, der Rest des Sportplatzes lag im Dunkeln. Verzweiflung darüber, dass dieser Umweg nur kostbare Zeit verschlang, kam in Marisa auf. Irgendwie musste sie an dem Adler vorbei in den Ortskern kommen.
Sie war gerade am ersten Gebäude vorbei, als sie einen Geländewagen daneben stehen sah. „Ist hier jemand?“ Keine Antwort. „Ich brauche dringend Hilfe!“
Es war zwecklos, niemand hörte sie. Vielleicht hatte einer der Jugendlichen zu viel getrunken, sich von einem Freund mitnehmen lassen und seinen Wagen hier gelassen. Ohne große Erwartung ging sie zur Fahrertür und zog am Griff. Überrascht wich sie zurück, als die Tür aufschwang. Unglaublich, wie sorglos die Leute heutzutage mit ihren Wertsachen umgingen. Marisa sah sich noch einmal um, bevor sie sich in den Wagen beugte, um nach einem Autotelefon oder einer Waffe zu suchen. Sie konnte nichts von beidem entdecken, dafür aber den Schlüssel, der in der Zündung steckte, als wollte er sie dazu auffordern, ihn umzudrehen. Ein dumpfer Laut über ihr ließ sie erschreckt zusammenzucken. Schuldbewusst richtete sie sich auf – und stand Auge in Auge dem Adler gegenüber, der auf dem Wagendach gelandet war. Für einen Moment sahen sie sich stumm an, dann senkte der große Vogel den Kopf, so als nicke er ihr zu. Während Marisa sich noch fragte, ob sie sich das nur eingebildet hatte, stieß er einen gellenden Schrei aus und flog davon.
So schnell wie möglich schwang sie sich in den Wagen und schlug die Tür zu. Entschlossen drehte sie den Schlüssel und atmete auf, als der Motor ansprang. Glücklicherweise handelte es sich um ein Automatikgetriebe, sodass sie sich nicht mit einer ungewohnten Gangschaltung herumzuplagen brauchte. Mit zitternden Händen legte sie den Rückwärtsgang ein und gab vorsichtig Gas. Langsam fuhr der schwere Wagen zurück, der Motor erschien ihr furchtbar laut in der abendlichen Stille. Sie fürchtete, jeden Moment den Besitzer aus dem Gebäude laufen zu sehen, doch nichts geschah. Nach einem letzten Rundblick fuhr sie an dem Gebäude vorbei auf die Straße und wandte sich dann zum Waldrand, wo sie Coyle zuletzt gesehen hatte. Nach einigen Metern verließ sie die Straße und fuhr querfeldein. Die Dunkelheit wurde dichter, bis sie außer schwarzen Schemen nichts mehr erkennen konnte. Mit einer ungeduldigen Bewegung schaltete sie die Scheinwerfer an, was allerdings nur dazu führte, dass sie außerhalb der hellen Lichtkegel noch weniger sehen konnte als vorher. Coyle, wo bist du?
Weit vorgelehnt starrte sie durch die Windschutzscheibe. Ihre Fingerknöchel färbten sich weiß vor Anspannung. Bei jedem Stoß fürchtete sie, dass das Auto liegen bleiben oder sich festfahren könnte. Ängstlich sah sie auf den Benzinstand und atmete ein wenig auf. Zumindest darüber brauchte sie sich im Moment keine Sorgen zu machen. Wenn sie doch bloß endlich Coyle finden würde! Je länger sie dafür brauchte, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass die Mörder ihn zuerst fanden. Sie fühlte mit jeder Faser ihres Körpers, dass er sie dringend brauchte, und sie stocherte hier wie eine Blinde im Dunkeln herum! Ihre Zähne gruben sich in ihre Unterlippe, als der Jeep auf tiefem Sand zur Seite rutschte. Im letzten Moment konnte sie ihn auf festeres Gelände zurückbugsieren. Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn und lief unangenehm über ihren Rücken. Mit dem Ellbogen bediente sie den Schalter, der das Fenster hinunterfahren ließ.
Die kühle Nachtluft strich angenehm über ihr erhitztes Gesicht. Sie versuchte, etwas über dem Motorengeräusch zu hören, doch es war unmöglich. Kurz entschlossen schaltete sie den Motor aus und lauschte auf die Nachtgeräusche. Für einen Moment herrschte eine beinahe unheimliche Stille, dann begannen die Grillen zu zirpen, es raschelte im nahen Gebüsch, eine Eule rief. Aber nichts deutete darauf hin, dass ein Mensch in der Nähe war, der um sein Leben kämpfte. Was sollte sie nur machen, wenn sie Coyle nicht bald fand? War es sinnvoller, wenn sie in den Ort fuhr und die Polizei holte? Mit mehreren Leuten konnten sie die Gegend sicher besser durchkämmen, als wenn sie es alleine versuchte. Aber irgendetwas sagte ihr, dass es dann schon zu spät für Coyle sein
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