Ghostwalker - Raven, M: Ghostwalker
herauszuhalten. Bisher war es ihr halbwegs gut gelungen, weil sie die ganze Zeit beschäftigt gewesen war, doch jetzt konnte sie nur noch warten und das gab ihrem Gehirn die Zeit, in den Erinnerungen zu versinken. Dawn biss hart auf ihre Lippe. Erst als sie Blut schmeckte, ließ sie los. Sie musste hier raus!
So schnell wie möglich stürzte sie auf den Bürgersteig. Ein Mann wich im letzten Moment der Tür aus und starrte sie wütend an. Dawn lag eine Entschuldigung auf der Zunge, aber sie brachte sie nicht heraus. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und sie hatte Mühe, genug Luft zu bekommen. Gleich danach setzte das Zittern ein und Dawn ließ sich gerade noch rechtzeitig auf eine Bank sinken, bevor ihre Beine unter ihr nachgaben. Sie beugte sich vor und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Alles in Ordnung?«
Dawns Kopf fuhr hoch, als die leicht raue Stimme über ihr erklang. Hektisch blinzelte sie gegen die Tränen an, die sich in ihren Augen gebildet hatten. Dunkle Haare umgaben ein schmales, seltsam starres Gesicht. Schließlich blieb ihr Blick an den rauchig grauen Augen hängen, die beinahe wirkten, als könnte er damit in sie hineinblicken. Verspätet erinnerte sie sich an die Frage des Mannes.
Verlegen räusperte sie sich. »Ja, alles bestens, danke.«
Einen Moment lang schwieg er. »Entschuldigen Sie, wenn ich das so direkt sage, aber Sie sehen nicht aus, als ginge es Ihnen gut. Sie sollten sich ausruhen.«
Dawn unterdrückte die Antwort, dass ihn das nichts anging, und lächelte schließlich gezwungen. »Das werde ich.« Irgendwann .
Der Mann neigte den Kopf und ging weiter. Verwirrt sah Dawn ihm hinterher. Von sich selbst genervt wischte sie mit der Hand über ihre Augen und versuchte, sich wieder zu fassen. Als sie wieder aufsah, war der Fremde verschwunden. Sie blickte in alle Richtungen, aber sie konnte ihn nicht mehr entdecken. Wie hatte er das gemacht? Schließlich zuckte sie die Schultern. Sie hatte im Moment andere Probleme.
Nachdem sie ihren Rucksack aus dem Mietwagen genommen hatte, machte sie sich auf den Weg. Wenigstens war die Panikattacke vergangen und sie konnte wieder vernünftig denken. Sie musste die Vergangenheit ruhen lassen, bis sie diesen Fall gelöst hatte. Danach würde sie Urlaub nehmen und in Ruhe darüber nachdenken, ob sie noch fähig war, ihren Job auszuüben. Oder ob sie es überhaupt noch wollte. Seit sechzehn Jahren war sie Polizistin und auch wenn sie relativ zufrieden mit ihrem Leben war – glücklich hatte es sie nicht gemacht. Aber vielleicht war das ihre gerechte Strafe. Kopfschüttelnd unterdrückte sie diese Gedanken und konzentrierte sich auf ihre Arbeit.
22
Isabel konnte das Zittern nicht stoppen. Es hatte ihren ganzen Körper erfasst und wurde mit jeder Minute stärker. Dabei hatte Lee ihre Zelle bereits vor einiger Zeit verlassen, nachdem er das erreicht hatte, was er wollte. Sie bemühte sich, nicht auf den Stoff zu starren, der die blutigen Schnitte auf ihrem Arm verdeckte, sonst würde ihr wieder übel werden. Langsam und gleichmäßig atmete sie durch, um sich wieder zu beruhigen. Als Lee den Raum betreten hatte, war ihr klar gewesen, was jetzt kommen würde: Das, was er vorher erfolgreich an den eingesperrten Wandlern getestet hatte, würde er nun auch mit Bowen versuchen. Nur dass sie diesmal das Opfer gewesen war, das er gequält hatte, um zu testen, ob Bowen darauf reagierte. Und das hatte er.
Auch wenn Isabel ihn durch die Wand nicht sehen oder hören konnte, in ihrem Kopf hatte sie jede seiner Gefühlsregungen gespürt. Dadurch war Lees Folter doppelt schmerzhaft gewesen. Obwohl Bowen außer sich gewesen war, hatte er versucht, sie mit den Bildern in seinem Kopf zu beruhigen. Zum Teil war ihm das gelungen. Ein Schauder durchlief ihren Körper. Sie wollte gar nicht wissen, wie sie reagiert hätte, wenn er nicht bei ihr gewesen wäre. Nach einem weiteren Atemzug richtete sie sich gerader auf und verschloss das Geschehene tief in sich. Erst dann öffnete sie wieder die Verbindung zu Bowen. Sofort überflutete sie seine Besorgnis und seine Wut auf Lee. Isabel schloss die Augen und versuchte ihn zu beruhigen.
Bowen reagierte sofort auf sie. In den Bildern, die er ihr nun sandte, stand er vor ihr und nahm sie in die Arme. Sie konnte beinahe die Wärme seines Körpers fühlen und seinen Atem, der über ihr Gesicht strich. Irgendetwas an ihrer Verbindung schien sich in dem Jahr der Trennung verändert zu haben. Damals im Haus ihres … von Henry
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