Ghostwalker - Raven, M: Ghostwalker
hatte diesen Teil in ihm wiedererweckt, der von den Flammen verzehrt worden war. Sawyer drehte seinen Kopf und küsste ihre Handfläche. »Danke.«
»Wo habt ihr gelebt?«
Sawyer starrte blicklos auf die Bäume. »In einem bergigen Gebiet an der Grenze zu Utah. Ein bewaldetes Tal, das für Menschen mehr oder weniger unzugänglich war. Niemand wusste, dass wir dort lebten.« Seine Kehle zog sich zusammen. »Zumindest dachten wir das bis vor zwei Jahren.« In Gedanken kehrte er zu jenem Tag zurück, als seine Welt in einem Flammenmeer untergegangen war.
Ein Warnruf der Wächter kündigte damals den Überfall an. Noch nie hatten sie so viele Menschen auf einmal gesehen, noch dazu mit Hunden und Waffen, und nun liefen sie direkt auf ihr Gebiet zu, so als wüssten sie genau, wo die Wandlergruppe zu finden war. Sawyer erkannte, dass sie gegen so viele nicht ankommen konnten, schon gar nicht, wenn sie gleichzeitig ihre Gefährtinnen und Kinder schützen mussten. Also befahl er den Rückzug, während er und die anderen Wächter für den Schutz sorgten. Ihre Gruppe war nicht groß, daher standen nicht viele Männer zur Verfügung, die sich im Kampf auskannten. Und niemand von ihnen hatte es je mit Schusswaffen zu tun gehabt. Sosehr ihm auch widerstrebte, alles zurückzulassen, was sie sich aufgebaut hatten, war Flucht ihre einzige Möglichkeit.
Es sah so aus, als würden sie ihre Verfolger abhängen, doch dann erkannten sie, dass sie direkt in eine Falle gelaufen waren. Flammen züngelten vor ihnen empor, fraßen sich in Windeseile durch trockene Sträucher und Bäume. Die ängstlichen Schreie der Kinder gellten in seinen Ohren, sie waren selbst über dem Rauschen des Feuers zu hören. Sie konnten weder vor noch zurück und die Felswände auf beiden Seiten der Schlucht waren zu steil. Außerdem wären sie ohne den Schutz der Vegetation den Waffen der Menschen hilflos ausgeliefert.
Sawyer versuchte, die anderen an den Verfolgern vorbeizuschleusen, doch es war aussichtslos, sie standen zu dicht. Vor allem schlugen die Hunde sofort an, wenn sich ihnen ein Berglöwe näherte. Verzweiflung breitete sich in ihm aus, er wusste nicht, wie er seine Gruppe unter diesen Bedingungen in Sicherheit führen konnte. Die Flammen prasselten immer dichter, es war nur noch eine Frage von Minuten, bis das Feuer sie erbarmungslos auf die Menschen zutrieb. Sie hatten nur eine Möglichkeit: Sie mussten die Männer ablenken und beschäftigen, bis die Schwächeren der Gruppe in Sicherheit waren.
Bereit, ihr Leben zu opfern, stürzten sich Sawyer und die anderen Wächter auf die Menschen. Überrascht von dem offenen Angriff wichen diese ein Stück zurück, und Sawyer schöpfte Hoffnung. Doch dann fielen Schüsse und er sah seine Männer fallen. Verzweifelt kämpfte er weiter, doch es war aussichtslos. Und dann hörte er die Schreie, als die Flammen sie einholten. Er wollte zurücklaufen und die Kinder retten, doch etwas traf ihn und er stürzte zu Boden. Langsam schloss Sawyer die Augen, als das Feuer ihn einhüllte …
»Sawyer!« Keira rüttelte ihn. »Sawyer!«
Es machte ihr Angst, wie still er auf dem Boden lag. Seine Haut war bleich, der Atem kam in heftigen Stößen. Das Schlimmste aber waren seine Augen, die sich verwandelt hatten und starr in den Himmel blickten, so als wäre sein Geist woanders. Und vermutlich war er das auch. Was hatte sie sich dabei gedacht, ihn auf seine Vergangenheit anzusprechen und damit offenbar Erinnerungen zu wecken, die ihn quälten? Auch wenn sie alles über ihn wissen wollte, hätte ihr klar sein müssen, dass er seine Gründe hatte, nicht darüber zu reden. Gott, sie wollte nie wieder diesen Schmerz in seinen Augen sehen, so als warte er nur darauf, dass sein Leiden im Tod endlich ein Ende fand.
Wie lächerlich kamen ihr dagegen ihre eigenen Probleme vor. Sie hatte ihr ganzes Leben lang einen Mann geliebt, für den sie immer nur wie eine kleine Schwester gewesen war. Und wenn sie einsam gewesen war, dann war das ihre eigene Schuld. Schließlich hätte sie sich nicht wie eine lästige Klette an ihren Bruder und Coyle hängen, sondern sich stattdessen lieber den anderen Wandlern in ihrem Alter anschließen sollen. Kein Wunder, dass Coyle nie eine Frau in ihr gesehen hatte.
Keira bettete Sawyers Kopf in ihren Schoß und fuhr sanft seine ausgeprägten Gesichtszüge nach. Nein, er war nicht wirklich gutaussehend, dafür sorgten die großflächige Narbe auf seiner linken Gesichtsseite und die etwas zu breite
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