Ghostwalker - Raven, M: Ghostwalker
»Lassen Sie Isabel gehen.«
»Bleib da stehen. Glaub nicht, dass ich irgendwelche Skrupel habe, dich zu töten, wenn du versuchst, mich anzugreifen.« Irgendwie imponierte es Lee, dass der Fremde den Mut hatte, alleine aufzutauchen und Forderungen zu stellen. »Und nein, ich werde sie ganz sicher nicht gehen lassen. Aber wenn du dich benimmst, bringe ich dich zu ihr.«
Eine Weile lang sah der junge Mann Lee nur an, aber dann neigte er langsam den Kopf.
Verzweifelt versuchte Isabel den Fesseln zu entkommen, aber sie lösten sich einfach nicht. Es durfte nicht sein, dass Bowen hier war! Er war Lee nicht gewachsen, das musste er doch wissen! Schon seit einigen Stunden spürte sie seine Nähe und sie freute sich, dass er da war, aber sie hatte nicht gedacht, dass er so verrückt sein würde, einfach in das Gebäude zu spazieren und es alleine mit einem Verbrecher aufzunehmen. Doch jetzt war er eindeutig näher als vorher, wahrscheinlich nur wenige Meter entfernt, so deutlich konnte sie ihn fühlen. Hoffentlich waren wenigstens die anderen bei ihm! Isabel öffnete ihren Geist und versuchte, die Gefühle von Keira oder einem anderen Wandler der Gruppe wahrzunehmen. Nichts. Er war tatsächlich ohne Begleitung gekommen. Wie sollte sie ruhig bleiben, wenn sie wusste, dass Bowen hier und in Gefahr war? Die Kamera über der Tür zeichnete jede ihrer Bewegungen auf und sie zweifelte nicht daran, dass Lee sie genau beobachtete.
Vermutlich waren die armen Wandler in den Käfigen nur von ihm gequält worden, um ihr eine Reaktion zu entlocken. Sie hatte sich bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, aber der Schmerz und die Wut, die sie von den gequälten Kreaturen empfing, waren irgendwann zu viel für sie gewesen. Was würde Lee mit ihr tun, wenn er wusste, was für Fähigkeiten sie besaß? Wahrscheinlich würde er sie irgendwie einsetzen, um den Wandlern zu schaden, aber das musste sie verhindern. Egal wie. Bilder glitten durch ihren Kopf, von Bowen, wie er auf sie zukam, von Keira und einem kräftigen Mann, der offensichtlich auch Berglöwenwandler war, und von Caruso. Isabel wusste nicht, wie sie auf ihren leiblichen Vater reagieren sollte, aber sie war froh, dass er anscheinend ebenfalls hier war, um ihr zu helfen.
Die Frage war nur, wenn Keira und die anderen sich auch in der Nähe befanden, warum hatten sie dann Bowen ganz allein in das Gebäude gehen lassen? Sie mussten doch wissen, wie gefährdet er war und vor allem, wie sehr ihn die Situation an seine Gefangenschaft erinnern musste! Wieso hatten sie ihn nicht aufgehalten? Sosehr sie sich auch wünschte, in seiner Nähe zu sein, wollte sie nicht, dass er in Lees Fänge geriet.
Als sich etwas vor ihrer Tür bewegte, blickte sie auf. Mit einer ungeduldigen Bewegung schüttelte sie die Haare aus ihren Augen. Ungläubig starrte sie durch die Glasscheibe auf den Gang. Dort stand Bowen und blickte sie direkt an. Hinter ihm konnte sie Lee erkennen, der eine Pistole auf ihn gerichtet hielt. Oh nein! Ihr Magen krampfte sich zusammen, gleichzeitig wünschte sie sich nichts mehr, als aufspringen und sich in seine Arme werfen zu können. Bowen trat dicht an die Scheibe und legte seine Hände darauf, als könnte er sie so berühren. Seine Gedanken vermittelten ihr Ruhe – und seine Gefühle für sie. Tränen traten in ihre Augen, während ihr Herz schneller zu klopfen begann. Sie wusste nicht, ob Bowen auch ihre Gefühle spüren konnte, aber sie hoffte es.
Ein Lächeln spielte um seine Lippen, seine Augen leuchteten. Wieder glitten Bilder durch ihren Kopf, diesmal stand sie in Bowens Umarmung und sie küssten sich, wie damals im Haus ihres Vaters. All die Empfindungen, die sie im vergangenen Jahr unterdrückt hatte, flammten wieder auf, und sie wusste, dass sie nie über Bowen hinwegkommen würde. Sollten sie dieser Hölle lebend entkommen, würde sie nicht zulassen, dass er sie noch einmal verließ. Lee trat vor und fasste Bowen am Arm, um ihn zurückzuziehen, aber der riss sich sofort los. Isabel konnte sehen, dass er kurz davor war, den älteren Mann anzugreifen, obwohl der eine Pistole auf ihn gerichtet hielt.
»Bowen, nein!« Anscheinend hörte er sie, denn er wandte ihr seinen Kopf zu. Heftig schüttelte sie den Kopf. »Tu das nicht. Ich brauche dich.«
Lee sagte etwas, das sie nicht hören konnte, aber sie sah, wie Bowens Körper sich versteifte. In seinen Augen lag etwas Wildes und sie befürchtete schon, dass er sich verwandeln würde, doch schließlich wandte er
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