Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
Leben kam und die dann den Raum in Licht tauchten.
Wir hatten uns so sehr auf diese Reise gefreut. Beide Jungs konnten schon im Alter von zwei Jahren schnorcheln und mit drei schwimmen. Irgendwann hatte ich aufgehört zu zählen, wie oft wir sagten: »Ich kann es gar nicht erwarten, bis sie im Roten Meer schnorcheln.«
Reef und Finn verschlug es jedes Mal die Sprache, wenn sie tropische Fische, exotische Meerestiere und Anemonen sahen, daher wollten Kate und ich diese Erfahrung so bald wie möglich mit ihnen teilen. Diesen Traum hielt ich während Kates Behandlung Monat für Monat aufrecht, während erst ihre Mastektomie, dann ihre Chemotherapie und dann ihre Bestrahlungen uns zwangen, die Reise zu stornieren.
Als wir schließlich gegen Ende 2009 die Reisen nach Florida und Lappland buchten, glaubten wir über den Berg zu sein, also sagte ich zu ihr, dass Ägypten nun als Nächstes auf unserer Liste stünde, weil ich felsenfest daran glaubte. »Im neuen Jahr fahren wir alle gemeinsam dorthin«, sagte ich. Und das nicht nur, um sie aufzumuntern, ich zweifelte keine Sekunde daran.
»2010 werden wir es endlich schaffen. Du wirst sehen, das Warten lohnt sich.«
»Ich weiß. Wollen wir’s hoffen.«
Je mehr Zeit verstrich, sagte Kate, wann immer ich darauf zu sprechen kam, nur noch: »Drück die Daumen.« Ich ging davon aus, dass sie so zögerlich war, weil sie sich die Enttäuschung, die Reise noch mal absagen zu müssen, ersparen wollte, aber jetzt erkenne ich, dass sie offenbar schon lange vor mir befürchtet hatte, sie wohl nie mehr machen zu können.
Nie vergessen werde ich allerdings den verlorenen Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie auf ihre Liste schrieb: »Reist nach Ägypten und schnorchelt im Roten Meer.« Wir hatten zum damaligen Zeitpunkt bis in die frühen Morgenstunden an der Liste gearbeitet, und Kate war sehr geschwächt und müde. Es muss eine Qual für sie gewesen sein, diese Worte zu schreiben. Ich konnte ihren Schmerz und ihre Enttäuschung spüren, die beim Schreiben über dem Blatt zu hängen schienen.
»Darauf kannst du dich verlassen«, versicherte ich ihr, wobei mir die Worte im Hals stecken blieben und ich zu weinen anfing.
Diese Worte, Kates Anweisung an mich, besagten, dass ich eine Zukunft hatte, im Gegensatz zu Kate. Sie konnte nur noch ihren Tod planen, während mein Leben mit dem der Jungs vor mir lag. Glauben konnte ich das nicht ganz, weil ich es nicht glauben wollte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren mit dem Wort »wir« immer ich und Kate oder ich, Kate und die Jungs gemeint gewesen. Jetzt bedeutete »wir« nur noch ich, Reef und Finn. »Natürlich machen wir das, und dabei werden wir an dich denken.«
Kate weinte. »Halt mich fest«, sagte sie, also schloss ich sie in meine Arme. Sie war so zerbrechlich, nur noch eine Hülle ihrer selbst. Sie schluchzte und entschuldigte sich, und ich musste ihr versprechen, dass wir drei die Zeit dort genießen würden.
»Das werden wir«, sagte ich und erstickte fast an den Worten, weil ich noch immer nicht glauben konnte, was ich da sagte. Glauben wollte ich es erst, wenn es tatsächlich eintreffen sollte. Im Moment, so redete ich mir ein, konnte es ja immer noch anders kommen. Selbst als Kate schon im Sterben lag, klammerte ich mich an die Hoffnung.
Das gleiche Erstickungsgefühl hatte ich auch in der Kehle, als unser Flugzeug kurz vor Weihnachten 2010 nach Ägypten abhob. Ich war von lauter Familienmitgliedern umgeben, die wie versprochen mitreisten, und Reef und Finn waren unglaublich aufgeregt. Nur gut, dass sie angeschnallt sitzen mussten, überlegte ich, denn ansonsten hätten sie den ganzen Flug hüpfend verbracht.
Als es endlich losging, empfand ich es als Erleichterung, einen wichtigen Punkt auf Kates Liste abhaken zu können. Auch war ich sehr froh, der Aussicht auf kalte, dunkle Weihnachtstage zu Hause entfliehen zu können. Doch allem Positiven zum Trotz war ich gegen traurige Gedanken machtlos. Denn mein Glaube daran, dass Kate sich wieder erholte und auf dieser Reise neben mir säße, war unerschütterlich gewesen. Noch als sie Ägypten auf ihre Liste gesetzt hatte, hatte ich mich an diesen dünnen Hoffnungsfaden geklammert, so verrückt sich das jetzt auch anhören mag.
Jetzt gab es keine Hoffnung mehr. Das war die Wirklichkeit, und obwohl mir nach Heulen zumute war, riss ich mich zusammen, um mein Versprechen Kate gegenüber zu halten und mit den Jungs wunderbare Tage zu genießen.
»Werden wir von einem Hai gebissen
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