Gib dich hin (German Edition)
nicht zu gebrauchen.
Vor Ansgar Henning hatte sie auch keine besonders gute Figur gemacht. Sie hatte abwesend gewirkt, als sie den Vertrag unterzeichnet hatte, ihm kaum zugehört, weil sie mit den Gedanken ständig bei diesem Mandrake war. Hoffentlich bereute der Big Boss seine Entscheidung nicht, sie eingestellt zu haben.
Sie gab einige Begriffe in die Suchmaschine ein, fand aber letztlich nur ein paar Informationen zu Filmen und Büchern, die sich mit dem Thema befassten.
Und schuld an allem war mal wieder ihr unverantwortlicher Bruder! Kaum zu glauben, dass dieser Mann stramm auf die dreißig zuging! Wie konnte man nur so dumm sein und seine Seele verkaufen? Er hätte sich doch denken können, dass das böse ausgehen würde. Und jetzt steckte sie auch noch mittendrin in dem Schlamassel, hatte nun ihrerseits einen Deal mit diesem Teufel. Allein der Gedanke, sich ihm heute Nacht hingeben zu müssen, um so Nicks Seele frei zu bekommen, ließ sie erschauern. Sie schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. Himmel, sie saß wirklich mächtig in der Patsche. Das Schlimmste war, sie konnte sich niemandem anvertrauen. Jeder, dem sie ihre Geschichte erzählte, würde sie für verrückt halten. Und das völlig zu Recht. Sie würde solch eine abstruse Story auch nicht glauben, sondern an dem Verstand der anderen Person zweifeln.
Sie war also völlig allein.
Beim zufälligen Blick auf die Uhr ihres Desktops erschrak sie. In einer halben Stunde war Hubert Graun hier. Und der wollte Ergebnisse sehen. Sie musste sich ranhalten, wenn sie ihren Job nicht nach dem ersten Tag wieder verlieren wollte.
Rasch ging sie ihre Unterlagen durch, und es gelang ihr tatsächlich, wenn auch nur für kurze Zeit, Mandrake aus ihren Gedanken zu verbannen. Gegen zehn empfing sie Herrn Graun, der inzwischen um die fünfzig war, aber dafür sehr fit aussah, so dass man ihn gut und gern zehn Jahre jünger schätzte. Zu seiner Zeit als Leichtathlet hatte er viele bedeutende Erfolge errungen, mehrere Meisterschaften gewonnen, und selbst heute noch war er vielen Menschen ein Begriff. Sein Name stand für Leistungsfähigkeit, für Energie und trotz seines Alters für Jugendlichkeit. Man hatte ihn als den sympathischen Helden des Stabhochsprungs gefeiert, heute war er Geschäftsmann und Bodyline nur eins von vielen Projekten.
Cynthia stellte ihm einige kurzfristige Änderungen ihres Konzepts vor, auch erste Entwürfe aus der Kreativabteilung lagen für ihn bereit. Graun war begeistert. Es gelang ihr, ihre Nervosität so gut zu verbergen, dass er nicht das Geringste merkte. Die Sache war schnell beschlossen, und die ersten Prospekte gingen in Druck. Graun war zufrieden. Was wollte sie mehr?
Kurz nachdem er gegangen war, kehrten ihre Sorgen und Ängste zurück. Aber was konnte sie tun? Sie hatte sowieso keine Wahl.
Der Tag verging viel zu schnell, und ihr graute davor, nach Hause zu gehen. »Gleich am ersten Tag Überstunden? Das nenne ich vorbildlich«, meinte Tom, der ihr einen kurzen Besuch in ihrem Büro abstattete, bevor er selbst Feierabend machte. Wenn der wüsste, warum sie hier bis 19 Uhr saß. Nur sehr widerwillig machte sie sich auf den Heimweg. Miss trauisch beäugte sie die Menschen in der U-Bahn, als könnte jeder von ihnen ein Dämon sein. Sie spielte mit dem Gedanken, für ein paar Tage bei Anna einzuziehen. Aber auch das löste das Problem nicht, sondern schob es lediglich auf. Es gab kein Entrinnen vor Mandrake, solange sie ihren Bruder retten wollte. Und das wollte sie! Beides war eng miteinander verknüpft. Sie ging die Koppenstraße hinunter, wich den Jugendlichen aus, die sich mit Schneebällen bewarfen, und fasste schließlich einen Entschluss. Augen zu und durch. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Vielleicht würde es ja gar nicht so schlimm werden. Mandrake sah zumindest nicht un appetitlich aus. Unter anderen Umständen hätte sie ihn sogar äußerst attraktiv gefunden und sich gefreut, wenn ein Mann wie er sich für sie interessierte. Sie schloss die Haustür auf und war wild entschlossen, alles Nötige zu tun, um Nicks Seele freizukaufen! Doch zuvor brauchte sie unbedingt ein heißes Bad. Sie war erschöpft, hatte kaum noch Energie. Eine kurze Verschnaufpause wäre jetzt genau das Richtige. Kaum hatte sie ihre Wohnung betreten, eilte sie ins Badezimmer und ließ warmes Wasser in die Wanne ein. Wer wusste schon, wie viel Zeit ihr zur Entspannung blieb, bis Mandrake klingelte. Entspannung.
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