Gib mir deine Seele
über die Wange und sagte: »Du siehst hungrig aus.«
Vor den Fenstern wurde es zwar gerade erst hell, aber die letzten Stunden waren nicht nur psychisch kräftezehrend gewesen.
Sofort setzte sie sich auf. »Und wie! Ich könnte einen ganzen Ochsen verschlingen.« Erschrocken hielt sie sich den Mund zu. »Entschuldige, das klingt für einen Vegetarier wahrscheinlich scheußlich.«
»Ganz und gar nicht. Ich habe selbst zuweilen fleischliche Gelüste.«
»Also wirklich! Bist du ein Incubus?« Kichernd wollte sie aufstehen.
Doch er hielt sie fest. »Lass mich das Frühstück machen, ma p’tite chatte .«
»Nur wenn du es mir im Bett servierst.«
»Wie Madame wünschen.«
17 Barcelona – Das Gran Teatre del Liceu
Obwohl sie ihren Wecker früh gestellt hatte, war Constantin vor ihr aufgestanden und saß bereits am Schreibtisch, als Pauline am nächsten Morgen in die Küche ging, um sich einen Tee zu kochen, den sie immer vor dem Yoga trank. Er schien beschäftigt, also begnügte sie sich mit dem wortlosen Lächeln, das er ihr während eines Telefonats zuwarf.
Um zehn Uhr erwartete man sie im Theater. Eigentlich ausreichend Zeit, sich auf diesen besonderen Tag vorzubereiten, von dem sie nicht wusste, was er ihr bringen würde. Um halb zehn war sie jedoch so hibbelig, dass sie es nicht mehr aushielt. »Constantin, ich gehe dann mal los.«
»Jetzt schon? Du brauchst fünf Minuten bis zu den Ramblas.« Er stand auf und kam um den Schreibtisch herum auf sie zu.
»Ich bin nervös«, gestand sie und ließ sich bereitwillig von ihm in die Arme ziehen.
»Du schaffst das, ma petite . Den Escamillo kennst du bereits, und die anderen werden dich auch nicht fressen.«
»Ich weiß.« Sie seufzte, was eine gute Methode war, um innere Spannungen abzubauen. »Am ersten Tag bin ich immer furchtbar aufgeregt.«
»Und später nicht mehr? Hast du kein Lampenfieber?«
»Doch, schon. Das kriege ich aber ganz gut in den Griff. Ein bisschen Adrenalin gehört dazu. Ohne könnte man auf der Bühne wahrscheinlich nicht alles geben.«
»Nicht nur auf der Bühne«, sagte er mit einer Stimme, die sie wünschen ließ, es bliebe noch Zeit für einen kurzen Ausflug ins Schlafzimmer.
Als hätte sie ihre Sehnsüchte laut ausgesprochen, strahlten seine Augen auf einmal stärker, und die Hände wanderten über ihren Rücken hinunter bis zum Po. Dicht an ihn gepresst blieb ihr nicht verborgen, dass auch seine Gedanken eine eindeutige Richtung eingeschlagen hatten. Unwillkürlich drängte sie sich näher.
Rau sagte Constantin: »Wenn du so weitermachst, garantiere ich dir, dass du deinen Termin nicht einhalten wirst.« Geradezu behutsam, als sei er sich seiner Selbstbeherrschung nicht sicher, schob er sie von sich. »Später, ma petite .«
»Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird.«
»Darüber mach dir keine Gedanken. Falls ich nicht hier sein sollte, schicke ich dir eine SMS. Viel Spaß!« Mit einem Klaps auf den Hintern verabschiedete er sie.
» Hola! Bon dia. Em dic Pauline Roth. Hallo! Guten Tag, ich bin Pauline …« Genau elf Minuten vor der verabredeten Zeit meldete sie sich bei einer freundlichen Pförtnerin, die ihre gestern auswendig gelernte Begrüßung mit einem heiseren Südfranzösisch beantwortete. Dankbar lächelte sie.
»Madame Roth, willkommen. Ich habe Ihre Personalkarte schon vorbereitet. Wenn Sie hier bitte unterschreiben würden?«
Diese Karte, erfuhr sie, erlaubte es ihr, im Theater ein und aus zu gehen, wann immer sie wollte. Außerdem konnte damit in der Kantine bezahlt werden. Eine Rechnung bekäme sie am Ende eines jeden Monats.
Die Pförtnerin griff zum Telefon. »Mademoiselle Roth ist jetzt da, soll ich sie zu euch schicken?« Sie nickte, sagte noch etwas, das Pauline nicht verstand, und erklärte ihr dann den Weg ins Personalbüro, wo man bereits auf sie wartete.
Anders als in den meisten Theatern, die Pauline kannte, sah in diesem alles neu aus. In den geräumigen Gängen stand kaum etwas herum, und überall waren dreisprachige Hinweisschilder angebracht, die ihr halfen, sich schnell zu orientieren.
Sie erhielt den Schlüssel für ihre neue Unterkunft und einen kopierten Stadtplan, auf dem das Apartmenthaus eingezeichnet war, in dem sie für die Dauer ihres Engagements wohnen sollte. Constantins Forderung, sie müsse ihre Unabhängigkeit bewahren, sah Pauline zwar ein. Weshalb sie dafür jeden Tag mit der Metro fahren sollte, wollte ihr nicht so recht einleuchten. Aber immerhin würde Henry direkt
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