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Gib mir deine Seele

Gib mir deine Seele

Titel: Gib mir deine Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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wurde unwichtig. Sie befand sich in einer dunklen Schlucht auf der Suche nach ihrem Geliebten, die Furcht brachte sie fast um, dennoch musste sie ihre Nachricht überbringen. Die Arie endete mit der Bitte Donnez-moi du courage! Gib mir Mut!
    Ihre Muse schien sie erhört zu haben, denn sie fühlte sich großartig und hielt die nach dem letzten Klang eingetretene Stille aus, ohne Selbstzweifel zu bekommen.
    Kein Laut drang durch die schallisolierten Scheiben von draußen herein, und auf der Probebühne hätte man wohl selbst eine Feder fallen hören können. Dann sagte jemand »Bravo!«, und Escamillo sprang auf, schnappte sich Pauline und wirbelte sie einmal herum.
    »Madame, geben Sie es ruhig zu, Sie sind nicht von dieser Welt.«
    »Nicht wenn ich singe«, sagte sie verlegen und befreite sich aus der bärenhaften Umarmung. »Da könnten Sie schon recht haben, Monsieur.«
    Alle lachten, und das Eis war endgültig gebrochen. Martin begleitete sie später zu ihrer Garderobe. Auf dem Schild neben der Tür las sie ihren Namen.
    »Für mich?« Es gelang ihr nicht, so zu tun, als sei es für sie selbstverständlich, eine eigene Künstlergarderobe nutzen zu dürfen. Welch ein Luxus!
    Als er ihr die Funktion der Schließfächer erklärte, folgte sie wieder ihrer Intuition und sagte: »Martin, dass dies meine Feuerprobe sein wird, ist kein Geheimnis. Wir beide wissen, dass es nicht ausreicht, nur eine gute Stimme zu haben und idealerweise schauspielerisches Talent. Willst du mir helfen, aus dieser Micaëla ein ganz besonderes Ereignis zu machen?«
    Seine Überraschung war deutlich zu erkennen. Er ging zum schmalen Fenster der Garderobe und sah eine Weile lang hinaus. Martin war ein schöner Mann, groß und schlank mit vollem kastanienbraunem Haar. Es wurde gemunkelt, dass ihn mit dem Maestro mehr verband als nur Berufliches.
    »So etwas hat mich noch nie jemand gefragt. Ich will ehrlich sein. Als Paul dich engagieren wollte, dachte ich, er spinnt. Was bedeutet schon ein einmaliger Erfolg bei einem Gesangswettbewerb, wenn die Erfahrung fehlt?« Er drehte sich abrupt um. »Der Alltag sieht anders aus, und du bist sehr jung. Aber Elena Corliss hat für dich gebürgt, und das schien ihm auszureichen. Die beiden haben früher oft zusammengearbeitet.«
    Gespannt, was er als Nächstes sagen würde, wartete Pauline schweigend ab.
    »Paul hatte recht. Mit deiner Stimme hast du eine große Karriere vor dir, es wird viele Neider geben.« Er deutete eine ironische Verbeugung an. »Ich sorge dafür, dass dich niemand in den Orchestergraben schubst … dort unten sitzen nämlich die größten Haifische. Du hingegen stellst mir Julian Fray vor.«
    »So gut kenne ich ihn nicht …«, begann sie, aber als Pauline Martins erwartungsvollen Gesichtsausdruck bemerkte, korrigierte sie sich. »Ja, klar. Vielleicht sollte ich ihn zur Premiere einladen. Zum Dank, dass er mich in München so großartig unterstützt hat. Dafür würde ich allerdings eine gute Karte benötigen.«
    »Deal! Die sollst du bekommen.« Martin reichte ihr die Hand. »Ich sehe, du besitzt eine schnelle Auffassungsgabe. Es wird ein Vergnügen sein, mit dir zu arbeiten.«
    »Gleichfalls.« Pauline sah auf die Uhr. Es war kurz vor eins. Nachmittags erwartete man sie in der Kostümabteilung und anschließend in der Maske, bis dahin hatte sie frei.
    Als sie aus der Garderobe trat, waren ihre Kollegen verschwunden, und im Theater herrschte eine seltsame Ruhe. Von der Siesta, der spanischen Mittagsruhe, hatte sie gehört und bei sommerlichen Temperaturen war dies bestimmt auch sinnvoll. Sie würde sich daran gewöhnen müssen.
    Was mache ich bis zum Nachmittag? Ich könnte zu Constantin gehen. Die Aussicht war verlockend, ihn zu verführen, wie sie es schon nach dem Aufstehen gern gemacht, aber aus Gründen der Vernunft gelassen hatte. Doch dann fragte sie sich, was sie getan hätte, wäre er nicht mit ihr nach Barcelona gekommen. Wahrscheinlich hätte sie die Zeit genutzt, um ihre neue Unterkunft anzusehen. Das ist es, was er von mir erwartet , dachte sie. Ihren Alltag sollte sie jederzeit eigenverantwortlich bewältigen können.
    Sie dachte an Tom, der von ihr verlangt hatte, dass sie bei ihm einzog. Und weil es zuerst so praktisch klang, hatte sie mit ihrem Zimmer, ohne es zu bemerken, auch die Selbstbestimmung aufgegeben. Ein Fehler, den sie nicht noch einmal machen wollte.
    Also stieg sie in die grüne Metro-Linie drei, fuhr Richtung Trinitat Nova und stieg an der Station

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