Gib mir deine Seele
bestimmt nicht schaden.
Dass sie sich über seine Einladung freute, versuchte sie rasch zu verdrängen. »In Ordnung«, sagte sie, bevor ihr Kartenhaus aus Selbsttäuschung zusammenbrach, »aber spätestens um zehn muss ich gehen.«
»Natürlich.« Constantin erhob sich. »Wollen wir?«
Auf seinem Weg nach Covent Garden dachte Constantin über den vergangenen Abend nach. Obwohl sich ein gutes Dutzend auf den ersten Blick attraktiverer Frauen in der Bar aufgehalten hatte, war Pauline nicht unbemerkt geblieben. Sie besaß dieses Leuchten, das nur wenigen Menschen zu eigen war. Interessanterweise war es ganz plötzlich erloschen. Seine zugegeben etwas kurz angebundene Begrüßung schien sie verärgert zu haben. Sobald sie jedoch von ihrer Gesangsausbildung und ihren Zukunftsträumen gesprochen hatte, war es sogar noch stärker zurückgekehrt.
Spätestens da hatte er gewusst, dass die in Venedig ziemlich spontan gefallene Entscheidung, sie wiederzusehen, richtig gewesen war. In Pauline schlummerte eine Leidenschaft, die zu entfesseln ein köstliches Vergnügen werden würde. Aber er musste behutsam vorgehen. Sie war sensibel, und wenn er sich nicht täuschte, gehörte sie zu den Menschen, die sich einem Konflikt lieber entzogen, als ihn zu suchen.
Nach so langer Zeit endlich wieder eine echte Herausforderung. Allein dafür hätte er sie schon küssen können, und als er diese Fantasie fortspann, erregte sie Constantin ebenso sehr, wie sie ihn beunruhigte.
Noch war nichts entschieden. Alles hing davon ab, wie sich der heutige Tag entwickeln würde. Als Pauline in seinem Bad in Venedig gesungen hatte, war er vom zarten Schmelz ihrer Stimme bezaubert gewesen, doch Nicholas hatte weniger Erfreuliches berichtet: Niemand schien sie für besonders talentiert zu halten. Ihr Vibrato sei ungleichmäßig, und in den Höhen sei sie oft unsicher. Pauline habe wohl auch, so hieß es aus einer anderen Quelle, häufiger unter Heiserkeit zu leiden. Der Musikdirektor des Theaters, an dem sie im letzten Jahr für eine Spielzeit fest angestellt gewesen war, attestierte ihr immerhin Fleiß und Zuverlässigkeit. Die Roth lernt ihre Partien im Handumdrehen, das muss man ihr lassen. Dennoch schien er froh zu sein, dass sie von sich aus auf eine Vertragsverlängerung verzichtet hatte. Obwohl sie, wie er betonte, für eine so junge Sängerin über ein beachtliches Repertoire verfügte.
Möglicherweise ist das ihr Problem , dachte Constantin. Eine Stimme war schnell verschlissen, wenn sich Sänger zu früh an große Rollen heranwagten, wie es bei Festengagements häufig der Fall war. Pauline hatte gestern nichts von Heiserkeit gesagt, allerdings zugegeben, dass sie sich in Paris erkältet hatte und deshalb nicht optimal auf die heutige Audition vorbereitet war. Er würde sich selbst ein Bild machen müssen.
Den hiesigen Musikdirektor kannte er aus New York, und ein Anruf genügte, um sich Zugang zum Royal Opera House zu verschaffen. Ob er die Deutschen kennenlernen wolle, hatte Antonio gefragt, Constantins Wunsch, unerkannt zu bleiben, aber kommentarlos respektiert. Dann setzt du dich am besten in meine Loge. Melde dich einfach beim Pförtner, er wird dir den Weg zeigen.
Kurz vor eins erreichte er das Theater. Um nicht versehentlich Pauline zu begegnen, ließ er sich durch das Vorderhaus führen. Lautlos betrat er die schmale Loge, zu der sonst nur die Theaterleitung Zutritt hatte, und setzte sich. Aus der Dunkelheit heraus waren unten die Gäste aus Deutschland zu sehen, die sich in Reihe elf und zwölf platziert hatten, von wo aus sie einem übergewichtigen Tenor zuhörten, der sich mit mehr Elan als Talent durch seine Partie kämpfte. Einige machten sich noch Notizen, die meisten saßen aber mit verschränkten Armen da und schienen gelangweilt darauf zu warten, dass er zum Ende kam. Der Korrepetitor beugte sich tief über die Tasten seines Flügels und zog ein Gesicht, als wünschte er sich weit weg.
Man musste es ihm wohl zugutehalten, dass er sich dennoch bemühte, auf den Sänger einzugehen, soweit dies unter diesen Umständen möglich war. Constantin wusste, dass die beiden nicht sehen konnten, was im Parkett passierte. Dem unglücklichen Künstler stand der Schweiß aber dennoch auf der Stirn, als ahnte er bereits, dass er durchgefallen war.
Immerhin bedankte man sich höflich, wenn auch das »Wir werden Ihre Agentur anrufen« nicht sehr vielversprechend klang, und ein anderer »Nächster!« rief, während der Tenor mit schweren
Weitere Kostenlose Bücher