Gib mir deine Seele
er einen gepolsterten Stuhl für sie zurechtrückte. Ohne zu überlegen, setzte sie sich aus reiner Gewohnheit. Seinen höflichen Rückzug bemerkte sie kaum. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass man so nicht mit einer Dame spricht?« Aufgebracht sah sie direkt in Constantins tiefseeblaue Augen.
Ärger tat das manchmal mit ihr. Sie vergaß alle Anstandsvorschriften und ließ ihren Gefühlen freien Lauf.
»Und du bist eine Dame?«, fragte er.
Das provokante Lächeln hätte sie ihm am liebsten aus dem Gesicht geohrfeigt. Wieso lasse ich mir das gefallen? Offenbar glaubte er, sie wäre es nicht wert, höflich behandelt zu werden. So wütend war sie schon lange nicht mehr gewesen. »Bevor man über jemanden urteilt, sollte man ihn erst einmal kennen. Hier hast du dein Geld!« Schwungvoll knallte sie den Umschlag auf den Tisch. Die flirtfreudige Blonde nebenan sog zischend Luft ein, dann wandte sie sich mit einem abfälligen Blick auf Constantin ab.
Erschrocken über ihren Ausbruch machte Pauline Anstalten aufzustehen.
»Dann sollten wir vielleicht jetzt damit beginnen, uns kennenzulernen«, sagte Constantin mit vollkommen veränderter Stimme, die eine fatale Wirkung auf die Stabilität ihrer Beine hatte.
Kraftlos ließ sie sich zurücksinken. »Es tut mir leid. Meine Manieren scheinen auch nicht mehr die besten zu sein.«
»Nein. Ich muss mich entschuldigen. Selbstverständlich bist du eine Lady.«
»Die gerade dafür gesorgt hat, dass man dich für einen …«, sie räusperte sich, »… für käuflich hält.«
Gratulation. Das war auch nicht besser. Sie wusste selbst nicht, was plötzlich über sie gekommen war. Verlegen legte sie den Kopf schief. »Sollen wir die ganze Szene vielleicht noch einmal spielen? Ich komme rein, du begrüßt mich nett …«
Constantin lachte. »Du hast recht. Ich bin ein bisschen aus der Übung. Beim nächsten Mal mache ich es besser, versprochen!«
Es gibt ein nächstes Mal? Sie legte die Handflächen aneinander, atmete so unauffällig wie möglich tief durch und sagte: »Einverstanden.« Für ganze Sätze war sie im Augenblick zu durcheinander. Dann riss sie sich aber doch zusammen. »Ich kann nicht lange bleiben. Morgen um ein Uhr habe ich ein wichtiges Vorsingen in Covent Garden.«
Seine Pupillen weiteten sich leicht. »Du singst im Royal Opera House vor?«
»Nein«, beeilte sie sich, das Missverständnis aufzuklären. »Also, ja. Die Audition ist zwar dort, aber es ist ein Casting von Vertretern deutscher Opernhäuser – ziemlich kleinen, wenn ich ehrlich bin.«
»Ich verstehe, du bewirbst dich für eine Festanstellung in der kommenden Spielzeit.«
Bevor sie ihm antworten konnte, erschien John, um mitzuteilen, dass der Tisch im Restaurant jetzt bereit sei.
»Ach, entschuldige! Du hast noch eine Verabredung.« Sie griff nach ihrer Tasche und der Tüte. »Dann will ich dich nicht länger aufhalten!«
»Pauline, ich habe für uns reserviert.« Er beugte sich vor und legte seine Hand leicht auf ihre Finger, als wollte er verhindern, dass sie ihm davonlief. Zu John sagte er: »Einen Augenblick bitte.«
»Sehr wohl, Mr. Dumont.« Der Mann deutete eine Verbeugung an und zog sich zurück.
»Du siehst blass aus. Wann hast du zuletzt gegessen?«
Die Bar war inzwischen bis auf den letzten Platz gefüllt, und auch an der langen Theke drängten sich Gäste. Er konnte unmöglich ihr Magenknurren gehört haben. Dennoch fühlte sie sich ertappt. »Heute Morgen, glaube ich.« Wahrscheinlich zählte eine Tasse Tee nicht als Frühstück, aber vor dem Shooting hatte sie nichts essen wollen, und anschließend hatte sie es einfach vergessen. Das passierte ihr selten, denn sie aß für ihr Leben gern. Zum Glück ohne größere Folgen für die Figur.
»Noch!«, behauptete Janice immer. »Früher war das bei mir auch so, und jetzt muss ich jedes Salatblatt umdrehen.« Janice war drei Jahre älter, benahm sich allerdings manchmal, als lägen mindestens dreißig Jahre zwischen ihnen.
Constantin schien ebenfalls das Bedürfnis zu haben, über ihr Wohlbefinden zu wachen. »Ich wette, du warst den ganzen Tag auf den Beinen«, sagte er und ließ ihre Hand noch immer nicht los. »Mach mir die Freude, und iss eine Kleinigkeit mit mir.«
Pauline sah ihn an. Was sprach eigentlich dagegen? Der Kühlschrank zu Hause war leer, und Constantin hatte heute offenbar keine anderen Verabredungen mehr. Ich erweise ihm nur eine Gefälligkeit . Eine oder zwei Stunden in seiner Gesellschaft würden ihr
Weitere Kostenlose Bücher