Gib mir deine Seele
begrüßte er ihn zurückhaltend. »Hattest du einen guten Flug?«
Dem Tonfall war zu entnehmen, dass er sich nicht im Geringsten dafür interessierte. Sein üblicherweise nachlässiges Alltagsenglisch war verschwunden, und der neue Akzent ließ erahnen, dass er in eine andere Gesellschaftsschicht hineingeboren war als Pauline oder David, der nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass er im Osten Londons aufgewachsen war. Häufig unterhielt er seine Models mit lupenreinem Cockney, um sie vor der ersten Aufnahme aufzulockern.
Das kann ja lustig werden , dachte Pauline. Nicholas fühlte sich offenbar verpflichtet, hier Constantins Interessen zu wahren, während er vor weniger als dreißig Minuten noch genau das Gegenteil im Sinn gehabt hatte.
David verbarg nicht, dass ihn Nicholas’ Arroganz ärgerte. »Danke, es ging so. Wenn man von den vier Stunden Verspätung absieht. Der Tomatensaft war jedenfalls prima«, entgegnete er. »Wollte Henry nicht auch kommen?«
»Da bin ich schon!« Henry umarmte und herzte erst David und küsste zum Schluss Nicholas.
Pauline zwang sich, nicht hinzusehen, und lächelte stattdessen David an. »Turteltauben«, sagte sie mit einem Schulterzucken. »Was will man da machen?«
Schließlich schob Nicholas ihre Freundin von sich und strich ihr durchs Haar. » Hi, Gorgeous! Du siehst toll aus!«
»Danke, m’agraden moi . Sie schmecken hervorragend.«
Nicholas musste dermaßen lachen, dass er beinahe vom Stuhl gefallen wäre. »Ist das dein erster Satz in Català?«, fragte er grinsend.
»Has vingut soi?«
»Nein, Schätzchen, ich bin nicht allein hier, und sag deinen Kolleginnen, wenn sie dir weiter solche Sätze beibringen, werden sie mich kennenlernen!«
»Möglicherweise legen sie es genau darauf an«, sagte Pauline und bemühte sich dabei vergeblich, ein ernstes Gesicht zu machen.
Nun lachten alle, stießen auf Davids Besuch an, und zwei Stunden später wechselten sie in eine Tapas-Bar, die sich nur wenige Straßen entfernt befand.
Pauline ließ sich zu einem Drink verführen, und die Zeit verging so schnell, dass sie überrascht war, als ausgerechnet Henry kurz nach Mitternacht nach Hause wollte. Eigentlich hatten sie später in einen Club gehen wollen, denn für hiesige Verhältnisse war es noch recht früh.
Also zog sie die Freundin beiseite und fragte, was los sei.
»Nicholas will nicht, dass ich nachher zu ihm mitkomme. Ich habe noch zu tun «, imitierte sie ihn. »Das kann ich mir denken. Der war den ganzen Abend so komisch.«
»Ich fand ihn jetzt nicht irgendwie anders«, sagte Pauline, und das stimmte auch. Trotz des Kusses benahm er sich wie immer, und so versuchte sie, sein Verhalten zu erklären: »Constantin ist heute nach L. A. geflogen, glaube ich, vielleicht wollen sie irgendetwas bereden. Die Zeitverschiebung …«
»Ach Quatsch, Zeitverschiebung! Der will nur nicht, dass du mit David allein in der Wohnung bist.«
Möglich war es schon. »Tut mir leid. Daran habe nicht gedacht«, sagte sie. »Ich wollte dir das Wochenende nicht vermasseln.«
»Hast du aber. Wir beide wollten uns doch einen Frauentag gönnen, bevor dein Constantin wieder zurückkommt. Das fällt ja jetzt ebenso ins Wasser.« Sie griff nach ihrer Handtasche und klemmte sie sich unter den Arm. »Warum musstest du David unbedingt zu uns einladen? Er hätte sich doch auch ein Zimmer nehmen können.«
Das wollte Pauline nun auch nicht auf sich sitzen lassen. »Nicht ich habe ihn eingeladen, er hat mich gefragt. Du wusstest davon und hättest ja was sagen können.« Da sie nun ohnehin schon stritten, sagte sie ärgerlich: »Außerdem hat er wenig Geld. Schon vergessen, wie das ist? Aber, nein, du hattest ja immer genug Kohle von Mami und Papi.«
»Du kannst mich mal!« Damit drehte sich Henry um und verließ die Bar, ohne ihre Freunde eines weiteren Blickes zu würdigen.
Pauline erklärte den Abend für beendet. Nicholas nahm es gelassen. »Seht zu, dass ihr sie noch erwischt«, riet er, als sie sich vor der Tür verabschiedeten und er dann ebenfalls davonging. Zu Paulines Erstaunen schlug er jedoch nicht den Heimweg ein.
Davids Gepäck befand sich in einem Schließfach in der Metro-Station Passeig de Gràcia. Da es nur wenige Minuten von der Tapas-Bar entfernt war, gingen sie zu Fuß. Pauline war froh, dass sie Henry unterwegs nicht trafen.
Unterwegs passierten sie einen Taxistand. Bestimmt hatte Henry sich eines genommen und lag schon in ihrem Bett, wenn sie und David nach Hause kämen.
Weitere Kostenlose Bücher