Gib mir deine Seele
gehen!«
Unterwegs liefen ihnen ein Ankleider aus der Herrengarderobe und zwei Bühnenarbeiter über den Weg, aber keiner der geladenen Party-Gäste. Am Pförtnerhaus begegneten sie jedoch Jonathan. Obwohl er sah, dass sie in Eile waren, trat er ihnen in den Weg und zog Pauline in seine Arme. »Es hat mir großes Vergnügen bereitet, mit dir zu arbeiten.«
Pauline erwiderte die Umarmung. »Danke für alles. Es war wunderbar. Gehst du zur Party?«
»Nein, ich versuche gerade, mich unbemerkt davonzuschleichen«, sagte er und klang nicht besonders betrübt. »Meine Tochter hat morgen Geburtstag, ich fliege nach Hause.« Er zeigte mit dem Daumen auf den Bühnenausgang. »Ich warte auf meinen Fahrer, aber der sagt, es sei kein Durchkommen da draußen.« Nervös sah er auf die Uhr.
Henry zückte erneut das Handy. »Nick? Wir sind da.« Sie schwieg einen Augenblick. »Ja, das habe ich gerade gehört. Pass auf, ich habe eine Idee …«
»Wenn ich jetzt da rausgehe, umzingeln mich sofort verrückte Opernfans, und ich muss die nächste halbe Stunde Autogramme geben. Dann verpasse ich meinen Flug.« Jonathan klang bedrückt.
»Leute, jetzt hört doch mal zu! Ich hab die Lösung. Nicholas fährt euch beide zum Flughafen. Kommt mit!«
»Bleibst du nicht hier?«, fragte Jonathan, während er und Pauline der davoneilenden Henry folgten.
»Nein, ich muss heute noch nach Deutschland.« Erleichtert atmete sie auf, als er nicht nachfragte, was sie dort vorhatte. Schließlich wusste sie das selbst nicht.
Schweigend liefen sie durch die schwach beleuchtete Kulissenwerkstatt, vorbei an düsteren Landschaften, einer halb fertigen Sozialwohnung, die für die Neuinszenierung von La Bohème gefertigt wurde, und mehreren unheimlich wirkenden Bäumen. Henriette schob den Riegel einer Eisentür auf und tippte einen Code in das Sicherheitspad ein. Es knackte, die schwere Tür ließ sich öffnen, und gleich darauf standen sie in einer dunklen Seitenstraße. Scheinwerfer blendeten auf, und eine Limousine rollte nahezu lautlos heran.
»Danke!« Rasch umarmte Pauline ihre Freundin und folgte dann Jonathan in den Wagen.
»Du bist spät.«
»Nicholas, es tut mir leid, ich … mein Handy ist kaputtgegangen.«
»Sag das nicht mir.« Er klang so kühl wie selten. »Herr Tailor, Sie müssen auch zum Flughafen, höre ich?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht …«
»Kein Problem. Constantin Dumont lässt Ihnen ausrichten, dass Sie ihm in seiner Maschine willkommen sind.«
»Das ist sehr liebenswürdig, aber ich habe ein Ticket.«
»Ihr Flug nach Hamburg wurde wegen des schlechten Wetters über Frankreich gestrichen.«
Kurz herrschte Stille im Wagen, dann beugte sich Jonathan zu Pauline und fragte leise. »Woher weiß er das?«
Sie zuckte nur mit den Schultern. »Er weiß alles, glaube ich manchmal.« Lauter fügte sie hinzu: »Aber was ist mit dem Gepäck?«
»Dafür ist gesorgt«, antwortete Nicholas.
Ärgerlich drückte Pauline den Knopf, um die Trennscheibe hochzufahren. Als das geschehen war, sagte sie: »Es tut mir leid. Constantin ist manchmal ein bisschen …«
»Überorganisiert?«, fragte Jonathan lächelnd.
»Besser hätte ich es auch nicht sagen können.« Sie lachte. »Aber nun habe ich wenigstens einen netten Reisegefährten und muss nicht allein fliegen.« Sie gestand Jonathan, unter einer leichten Flugangst zu leiden, und er gab zu, dass er das Fliegen auch nicht gerade liebte. Bald unterhielten sie sich bestens über Musik, und Jonathan brachte sie mit Anekdoten aus der Opernwelt zum Lachen. Erst als der Wagen auf das Rollfeld einbog, bemerkten sie, dass sie ihr Ziel beinahe erreicht hatten.
»Ihr Gepäck ist bereits an Bord, Herr Tailor.« Der Steward entnahm dem Kofferraum zwei prall gefüllte Reisetaschen.
Während Jonathan die Gangway hinauflief, hielt Nicholas Pauline am Arm fest. »Du brauchst also ein neues Telefon?« In seinen Pupillen tanzten Lichter, als amüsierte er sich.
»Ja. Ich habs an die Wand geschmissen, wenn du es genau wissen willst. Was denkt er sich dabei, mich einfach so nach Hamburg zu beordern?«
»Du wirst schon sehen, er meint es gut.«
»Warum sagt er mir dann nicht, was er vorhat?« Sie merkte selbst, dass sie ungerecht war. Bisher hatte sie noch keinen Grund gehabt, sich über die von Constantin geplanten Überraschungsausflüge zu beschweren. »Wird es länger dauern?«
»Das hängt ganz von dir ab«, sagte er und streifte, absichtlich oder nicht, ihre Brust, als er sich schnell
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