Gib mir deine Seele
aufgehört zu regnen, und zwischen hohen Wolken zeigte sich blauer Himmel.
»Lass uns ein Stück gehen«, schlug Pauline vor. Von der South Adley Street mitten in Mayfair lief man etwa zwanzig Minuten bis zu ihrem Hotel. Anfangs blieb Pauline häufiger stehen, weil sie sich am Anblick der Häuser so sehr erfreute. »Wer hier wohnt, hat großes Glück.«
»Großes Geld trifft es wohl eher«, bemerkte Constantin trocken.
Manchmal empfand sie seine Sicht der Dinge als äußerst zynisch. »Elena fehlt beides.«
Die Erklärung dafür, dass sie dennoch in diesem außerordentlich teuren Stadtteil Londons lebte, lag auf der Hand. Constantin finanzierte ihren Lebensunterhalt. Genauso, wie er offensichtlich von Anfang an Paulines Gesangsstunden bezahlt hatte.
»Würdest du eigentlich überleben, wenn du kein Geld besäßest oder nur sehr wenig?«
Constantin blieb stehen und fasste sie an den Schultern. Das Blau seiner Iris hielt sie sofort in seinem Bann. »Ich bin keineswegs mit dem sprichwörtlich goldenen Löffel im Mund geboren worden. Mit meinem Geld mache ich, was mir gefällt. Elena hat dieses harte Schicksal nicht verdient. Ich bemühe mich nur, es ein wenig zu lindern.«
»Indem du sie dafür bezahlst, mir das Singen beizubringen?«
Er ließ sie los und schritt voran. »Warum nicht?«, fragte er, als sie ihn eingeholt hatte. »Du hast das Talent, und sie hat es verstanden, dich auf den richtigen Weg zu bringen.«
»Das bedeutet wohl, ich bin in Zukunft auf mich selbst angewiesen«, sagte sie halb im Scherz.
Doch Constantin antwortete vollkommen ernst. »So ist es. Natürlich kannst du Elena jederzeit konsultieren, aber sie hat dir alles beigebracht, was es zu lernen gab, und wird dich zukünftig nur noch an das Gelernte erinnern, falls nötig. Alles andere liegt in deiner Hand.«
Bevor Pauline antworten konnte, fiel ihr Blick auf die Auswahl aktueller Zeitungen vor einem kleinen Laden: Feuer im Fotostudio! hieß es da in großen Lettern. Darunter war zu lesen, dass im Stadtteil Ealing in der vergangenen Nacht das Studio eines aufstrebenden Modefotografen in Flammen aufgegangen war. Sie zog die Zeitung hervor und überflog den kurzen Beitrag. Der junge Künstler wurde in verwirrtem Zustand von den Rettungskräften vor seinem Atelier aufgefunden. Das zuständige Police-Department habe bereits Untersuchungen eingeleitet, hieß es weiter.
»Kannst du mir das erklären?« Pauline hielt Constantin die Zeitung unter die Nase.
»Nein.« Er legte Geld auf den Tresen des Verkäufers und zog sie weiter.
34 Hamburg und New York – Neue Welten
Wenige Tage später zeigte sich Nicholas ebenso verschlossen. Pauline und er hatten gemeinsam gekocht und räumten nun die Küche auf. Constantin war nach Amsterdam gereist, wo er Bilder begutachten sollte, die vor einiger Zeit gestohlen worden und nun wieder aufgetaucht waren.
»Es hätte schlimmer für David ausgehen können«, sagte Nicholas ungerührt und stellte die Teller in die Spülmaschine. »Er ist unverletzt, und wie ich höre, hat er erst kürzlich eine Versicherung abgeschlossen. Die werden ihm den Schaden ersetzen.«
»Weißt du das von Henry? Läuft da eigentlich noch was zwischen euch?«
»Ja und nein. Sie hat mir davon erzählt. Wir haben uns getrennt. Ich passe nicht in ihren Lebensplan.« Übermäßig bedrückt wirkte er nicht. »Sie sagt, du hättest ihr geraten, nach einem Mann Ausschau zu halten, der sie heiraten und mit ihr eine Familie gründen will.«
Pauline verschluckte sich an ihrem Saft und musste husten. »Kann sein, dass ich so etwas gesagt habe«, gab sie zu. »Aber das war nicht böse gemeint.«
»Ich weiß. Mach dir deshalb keine Gedanken. Ich bin kein ›Ehemannmaterial‹. Obwohl … bei dir hätte ich schwach werden können, wäre mir Constantin nicht zuvorgekommen.« Mit einem unverschämten Grinsen kam er näher und küsste sie, als wäre es sein gutes Recht.
Prompt erhoben sich die unberechenbaren Schmetterlinge in Paulines Bauch, und für einen kurzen Augenblick war die Versuchung groß, mehr aus dem Kuss werden zu lassen. Doch dann schob sie ihn entschlossen von sich. »Wie ist es mit Lilly gelaufen?«
Nicholas grinste spitzbübisch und gab sie frei. »Ihr beiden habt das hübsch arrangiert … und erfolgreich. Lilly steht definitiv sehr weit oben auf meiner Liste.«
»Du hast eine Liste?«, fragte sie in gespielter Empörung und griff nach einem Geschirrtuch.
»Jeder Mann braucht ein Hobby.« Geschickt wich er ihr aus, als
Weitere Kostenlose Bücher