Gib mir deine Seele
nicht getäuscht – dieser Mann war ein Künstler, der sie verstand. Also erzählte sie davon, wie sie zuweilen so sehr mit der Rolle verschmolz, dass ihr selbst angst wurde. »Das kann ganz schön auf die Stimme gehen. Man verausgabt sich. Und noch schlimmer: Kurz nach einem Auftritt kann ich mich oft an nichts mehr erinnern.«
»Das kenne ich. Es ist wie ein Rausch. Wenn du nach einer Tournee nach Hause kommst, haben sich die Eindrücke auf geradezu unheimliche Weise überlagert. Niemand von uns kann dann mehr sagen, ob der Scheinwerfer in Mailand oder in Mannheim auf die Bühne gekracht ist, oder wo man welches Mädchen …« Eine feine Röte färbte seine Wangen. »Na ja, die Fans reagieren nicht so begeistert, wenn man da etwas verwechselt. Deshalb führen wir inzwischen ein Video-Tour-Tagebuch.«
»Ihr filmt eure … Affären?«, fragte sie erschrocken.
»Nein. Aber eigentlich klingt das lustig.« Als Kris ihren Gesichtsausdruck bemerkte, sagte er rasch: »Keine Sorge, so sind wir nicht drauf. Es gibt Dinge, die gehören nicht an die Öffentlichkeit. Wir legen großen Wert darauf, unser Privatleben zu schützen, und dieses Recht haben unsere Fans natürlich auch.«
Erleichtert erwiderte sie sein Lächeln. »Gut zu wissen, dass ich damit nicht allein bin. Jonathan Tailor beispielsweise geht es auch ähnlich.«
Die Anekdote, wie der Tenor so sehr in seiner Rolle aufgegangen war, dass alle befürchteten, er würde Carmen zum Schluss der Aufführung tatsächlich ermorden, brachte ihr Gegenüber zum Lachen.
»… und ihr Freund, der pikanterweise den Escamillo gesungen hat, war so wütend, dass er ihm Prügel androhte, wenn er seiner Carmen noch einmal solch blaue Flecken verpassen würde.«
Der Kellner unterbrach sie, als er ihnen getrüffelte Tagliatelle mit Parmesanstreifen servierte.
Pauline sog den Duft der Trüffel ein und seufzte. »Ich bin im Himmel!«
»Du isst gern«, sagte Kris, und er schien es als Kompliment zu meinen.
»Essen gehört ganz klar zu meinen Schwächen.« Pauline hatte kein Problem mit diesem Geständnis. Genussvoll tauchte sie ihre Gabel in die Tagliatelle. »Köstlich! Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, die Hingabe. Du und ich, wir machen zweifellos sehr unterschiedliche Musik, aber ich hatte das Gefühl, dass wir, was die Leidenschaft für unsere Arbeit angeht, ähnlich ticken. Deshalb bin ich hier, um zu hören, was du vorhast.«
Daraufhin erzählte er ihr von dem Videodreh. »Ursprünglich hatte ich geplant, dass Maria, eine geniale Studiosängerin, die Passagen einsingt. Im Video sollte die Rolle aber eine Schauspielerin übernehmen.«
»Warum?«
»Maria ist nicht gerade … Sie hat nicht den Look, den ich mir vorgestellt habe«, sagte Kris und hatte den Anstand, dabei verlegen auszusehen.
»Und du denkst, ich passe besser ins Video?« Mitten im Satz klingelte ihr Handy, und Pauline entschuldigte sich, als sie sah, wer da anrief. »Martin, welch eine Überraschung! Wie geht es dir?«
»Hallo Pauline. Nur ganz schnell. Hast du La Traviata im Repertoire?«, klang es undeutlich und merkwürdig gedämpft aus dem Telefon.
»Die Leitung ist schlecht, ich kann dich kaum verstehen. Du meinst die Rolle der Violetta? Ja, die habe ich schon gesungen, warum fragst du?«
»Wir haben hier ein Problem. Bevor ich deine Agentur heiß mache, wollte ich erst mal hören, ob du die Partie einstudiert hast.«
»Allerdings. Weck mich nachts auf, und ich gebe dir die Kameliendame.« Das war ein bisschen übertrieben, aber Pauline hatte die Rolle tatsächlich gründlich studiert. Sie liebte die Gefühlsintensität in Verdis Opern.
»Gut. Wenn alles glattgeht, sehen wir uns in drei Wochen in New York. Ich muss zurück in die Besprechung. Tschüss!«
Aufgeregt tippte sie »La Traviata« und »New York« in die Suchmaschine ein und stieß einen leisen Schrei aus. » Holy Shit! An der Met. O Gott, Kris. Entschuldige, dass ich dich unterbrochen habe. Bitte drück mir die Daumen, dass es klappt.«
Er versprach es, und nachdem sich Pauline wieder beruhigt hatte, ließ sie sich genau erklären, was er vorhatte.
»Das klingt toll. Wann willst du das Video machen?«
»Na ja, das ist das Problem. Die Termine stehen schon fest. Wir drehen in einer Woche, und bereits vorher müsstest du deinen Part einsingen.«
Er zog sein Handy und ein paar Kopfhörer hervor. »Wenn du willst, kannst du dir den Song mal anhören.«
Pauline mochte das Lied sofort. »Ich mache es.«
»Musst du nicht erst deine
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