Gib mir deine Seele
erleichtert fest, als er sich vorbeugte und ihr Profil betrachtete. Abgesehen von einer auffälligen Blässe, die sehr wohl Zeichen von Erschöpfung sein konnte, wirkte sie eigentlich ziemlich gesund.
»Könnten Sie«, sie schien nach Worten zu suchen, »könnten Sie mir bitte den Reißverschluss öffnen?«
Mit merkwürdig steifen Fingern tat er, worum sie ihn gebeten hatte, und zog sich dann zurück. Allerdings nicht, ohne die nahezu vollkommene Form ihres Rückens bemerkt zu haben, die ihn seltsamerweise an ein Cello und nicht an Sex denken ließ.
Gleich darauf klopfte es. Mit einem angedeuteten Nicken segelte die Hausdame herein, der man ansah, dass sie sich gerade zur Ruhe hatte begeben wollen, als Constantins Anordnung sie aus dem unzweifelhaft wohlverdienten Feierabend gerissen hatte. Ihr dunkles Haar war nur lose aufgesteckt, und die sonst so makellose Bluse zeigte leichte Knitterfalten. Doch das interessierte ihn nicht. Er umriss die Situation mit wenigen Worten und endete mit der Feststellung: »Sie war vollkommen durchnässt.«
»Aha.« Plötzlich erschien ein Lächeln im Gesicht der Frau, das sie um Jahre jünger machte. Ohne seine Einwilligung abzuwarten, ging sie zur Badezimmertür und klopfte. »Signora, hier ist das Housekeeping. Wenn Sie mir Ihre Garderobe herausreichen würden …«
Kurz darauf öffnete sich die Tür einen Spalt, und was auch immer die beiden Frauen mit gedämpften Stimmen besprachen, es mündete darin, dass die Hausdame lächelnd mit einem roten, tropfnassen Bündel zu Tür ging. »Ich werde das Kleid trocknen und mein Bestes tun. Allerdings fürchte ich, es ist ebenso ruiniert wie die Schuhe. Aber machen Sie sich keine Sorgen, wir finden etwas Passendes für die Signorina, wenn es Ihnen recht ist?«
»Ich bitte darum«, entgegnete er und drückte der Frau den Gegenwert eines Tageslohns in die Hand.
Sie nickte und ließ das Geld unauffällig verschwinden, bevor sie die Suite verließ.
Unentschlossen, was er bis zu ihrer Rückkehr tun sollte, schaltete Constantin den Fernseher aus – und erstarrte.
»Silberner Mond du am Himmelszelt, strahlst auf uns nieder voll Liebe …«
War das etwa die Stimme seines Gastes? Noch nie hatte er eine lieblichere Interpretation von Rusalkas »Lied an den Mond« gehört. Regungslos lauschte er der herzzerreißenden Arie, die mit der Bitte endete: »O Mond, entfliehe nicht, entfliehe nicht!«
»Du lieber Himmel, damit habe ich wirklich nicht gerechnet«, sagte er leise und ein wenig verwundert über die Freude, die sich in seiner Seele ausbreitete wie ein süßer Duft.
»Womit haben Sie nicht gerechnet?« Da stand sie. Eingewickelt in seinen zu großen, flauschigen Bademantel, das Haar unter einem kühn gebundenen Turban verborgen.
»Setzen Sie sich.« Er ging zur Tür, um dem Mann vom Zimmerservice zu öffnen, der einen Tee servierte und sich anschließend diskret zurückzog. Natürlich nicht, ohne zuvor einen neugierigen Blick auf die Frau zu werfen, die mit hochgezogenen Beinen auf dem Sofa saß. Zweifellos hatte inzwischen das gesamte Haus von ihrem kurzen Auftritt in der Hotelhalle erfahren.
»Puh«, sagte sie, als sich die Tür hinter ihm schloss. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht in Verlegenheit gebracht?«
»Keinesfalls.« Constantin nahm eine Flasche Cognac aus der Bar und ließ sich in einen Sessel fallen. Ohne nachzufragen, schenkte er zwei Gläser ein und reichte ihr eines davon.
Mit einer Handbewegung lehnte sie ab. »Alkohol …«
»Trinken Sie!« Er wartete, bis sie das Glas an die Lippen hob und einen winzigen Schluck nahm. Ungeachtet der Grimasse, die sie zog, trank er nun selbst. »Diesen Cognac als Alkohol zu bezeichnen, ist eine glatte Beleidigung.«
»Ich wollte nicht …« Sie wurde noch blasser, trank zu hastig und hustete. » Scusi! «, brachte sie schließlich entschuldigend hervor.
»Schon gut«, entgegnete er kühl, besann sich dann aber und sagte freundlicher: »Wie heißen Sie, und warum laufen Sie barfuß durch den Novemberregen?«
»Pauline … Ich heiße Pauline. Und der Rest geht Sie eigentlich nichts an.«
»Ich bin Constantin. Wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie mir vertrauen.«
Und wenn du deinen Nachnamen nicht verraten willst, umso besser. Auf diese Weise dürfte diese merkwürdige Begegnung wenigstens unter uns bleiben , dachte er.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, sagte sie leise. »Ich war zu einem Abendessen eingeladen, das nicht so gelaufen ist, wie ich es mir vorgestellt hatte.
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