Gib mir deine Seele
können.« Damit hatte sie offenbar genau das Richtige gesagt.
Constantin legte ihr die Hände auf die Schultern und zog sie näher zu sich heran. Nicht so nahe allerdings, wie sie es sich wünschte.
»Vertrau mir.« Dabei drehte er sie um einhundertachtzig Grad und gab ihr einen sanften Stoß. »Dein Zimmer ist dort hinten, die letzte Tür rechts.«
Wenige Sekunden später warf Pauline die Reisetasche aufs Bett, hängte ihr Kleid auf und nahm den Kulturbeutel heraus. Eigentlich wollte sie sich nur die Hände waschen, schließlich hatte sie heute schon zweimal geduscht. Aber der Anblick des luxuriösen Bades änderte ihre Pläne, und einige Minuten später genoss sie den massierenden Strahl einer Rundum-Dusche. Danach musste sie zwar das Haar neu aufstecken, weil Feuchtigkeit ihren Locken zuverlässig ein unberechenbares Eigenleben einhauchte, doch das war es wert gewesen.
Nachdem sie ein leichtes Make-up aufgelegt hatte, streifte sie den cremefarbenen Morgenmantel über, den jemand für sie bereitgelegt hatte. Die dazu passenden Pantoffeln ließ Pauline jedoch stehen, sie genoss es, die Zehen in den dicken Teppich unter ihren Füßen einzugraben. Bevor sie den Mantel schloss, betrachtete sie sich in einem großen Spiegel. Die Wäsche aus Venedig war genau das Richtige für ihre helle Haut. Pauline fühlte sich wie Irma la Douce, die Heldin aus einem von Tante Marguerites Lieblingsfilmen. Sexy, verwegen und dennoch verletzlich.
Sie wusste nicht, wieso, aber intuitiv vertraute sie darauf, dass sich Constantin eine schöne Überraschung ausgedacht und dabei auch die Kleiderfrage nicht übersehen hatte. Sie hatte zwar ihr neues Vorsingkleid eingepackt, aber das kam ihr nun ziemlich schäbig vor, wie es da so einsam und leicht zerknittert im Schrank hing.
Constantin schien immer alles im Griff zu haben, und seine kühle, überlegene Art beeindruckte sie. Nach dem Tod ihrer Mutter – einen Vater hatte es nie gegeben – war Pauline bei zwei Frauen aufgewachsen. Eigenwillige, starke Persönlichkeiten, die ihr Liebe und den Glauben an die eigenen Fähigkeiten mit auf den Weg gegeben und sie zu einem emanzipiert agierenden Menschen erzogen hatten. Was leider nicht verhindern konnte, dass sie sich in Gesellschaft häufig unsicher fühlte. Nur wenn sich Pauline in ihrer Musik verlor, empfand sie sich als Ganzes, verbunden mit ihrer inneren Kraft. »Geerdet«, hatte Tante Jillian es genannt, als sie einmal darüber gesprochen hatten, und Marguerite hatte sich über das »Esoterik-Geschwurbel« lustig gemacht und Wein nachgeschenkt. Am Ende hatten sie alle drei lachen müssen, aber Pauline hatte sich geliebt und verstanden gefühlt.
Obwohl sie eine männliche Bezugsperson nie vermisst hatte, fehlte es ihr an Erfahrung im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Männer hatten weder zu Hause noch im Mädcheninternat eine große Rolle gespielt. Der Junge, mit dem sie zum Ende ihrer Schulzeit gegangen war – und mit dem sie ihre ersten sexuellen Erfahrungen gemacht hatte – und David mit seiner On/Off-Beziehung zu Nina waren daher auch die einzigen Männer, denen sie bisher nähergekommen war. Sah man einmal von Tom ab, dem Tenor, mit dem sie eine kurze und rückblickend vor allem unerfreuliche Affäre während des Engagements an der Provinzbühne gehabt hatte.
Constantin hatte mit ihnen nichts gemein. Er verhielt sich oft kühl und war auf eine irritierende Weise dominant – etwas, das Pauline normalerweise eher ablehnte, denn sie ließ sich nicht gern Vorschriften machen. Bei ihm dagegen fand sie diese Kombination ausgesprochen reizvoll. Es war, als hätte er im Gegensatz zu ihr seine Gefühle stets meisterhaft im Griff. Abgesehen vielleicht bei ihrer letzten Begegnung in der Küche des White Lion. Da schienen bei ihnen beiden so einige Sicherungen durchgebrannt zu sein.
Die Erinnerung daran weckte ein drängendes Sehnen in Pauline, und obwohl sie noch eine halbe Stunde bis zum verabredeten Zeitpunkt hatte, machte sie sich auf die Suche nach Constantin.
Der Wohnraum war leer, aber jemand hatte inzwischen den Tisch gedeckt. Eine merkwürdige Welt, in der Constantin lebte. Pauline glaubte keinen Augenblick, dass er selbst das Geschirr und die edle Tischdekoration auf diese professionelle Weise angeordnet hatte. Suchend sah sie sich um. Eine der Türen, die von dem großen Raum abgingen, war nur leicht angelehnt, Licht schien heraus.
»Constantin?« Verwundert fand sie sich in einem Schlafzimmer wieder. Seinem Schlafzimmer.
Weitere Kostenlose Bücher