Gib mir deine Seele
Stilvoll ausgestattet, trug es seine Handschrift: klare Linien, männlich. Die Haken unter der Decke: mysteriös. Das Licht, das sie angezogen hatte, kam aus einem begehbaren Kleiderschrank. Neugierig ging Pauline hinein.
Hier war überhaupt nichts unergründlich. Eine Reihe Anzüge, die ihr Besitzer mit einer Nonchalance trug, die sie schon bei ihrer ersten Begegnung bewundert hatte. Schuhe, Hemden, aber auch casual wear: Jeans, Pullover, T-Shirts. Überwiegend in gedeckten Farben. Kartons, wie ordentliche Menschen sie zum Aufbewahren ihrer Garderobe verwenden würden. In dieser vorbildlichen Ordnung gab es nichts weiter zu entdecken. Sie drehte sich um – und blieb an etwas hängen.
Pauline zog an ihrem Morgenmantel, und plötzlich öffnete sich eine Schranktür. Etwas fiel heraus und landete direkt vor ihren Füßen. Sie beugte sich hinab, um es schnell zurückzulegen. Als sie sah, um was es sich handelte, zuckte ihre Hand zurück.
Es war verrückt gewesen, sie nach dem Küchenfiasko mit verbundenen Augen ins Flugzeug zu führen. Wie konnte er erwarten, dass sie ihm nach diesem Überfall vertraute? Aber Pauline hatte genau dies getan und ihn damit fast um den Verstand gebracht. Überhaupt übte ihre Nähe eine höchst irritierende Wirkung auf ihn aus.
Allmählich begriff er, was diese Herausforderung, die er so selbstbewusst angenommen hatte, in Wahrheit bedeutete. Das Mädchen kam aus der Provinz, sie war gutgläubig und überhaupt nicht weltgewandt. Theateralltag und der tägliche Kampf ums Überleben in einer Stadt wie London mochten sie geformt und kämpferisch gemacht haben – Vorbereitung auf eine Zukunft, die er für sie plante, war all dies ganz gewiss nicht. Und er hatte nur ein Jahr!
Constantin strich sich durchs Haar. Sollte dieser Job allerdings wie angedroht tatsächlich unerfüllbar sein – was spräche dann dagegen, die ihm verbleibende Zeit hemmungslos auszukosten? Paulines Reaktion auf seine unkontrollierte Entgleisung am Weihnachtsabend hatte ihn überrascht. Und wenn er ehrlich zu sich war, hatte sie auch unsinnige Hoffnungen in ihm geweckt. Deshalb waren sie nun hier.
Er hatte lange darüber nachgedacht, wie er ihr eine Freude machen könnte. Ein Schmerzensgeld gewissermaßen. Dabei verlor er keineswegs sein Ziel aus den Augen, aber er wollte Pauline etwas Besonderes geben und nicht nur ihren zweifelsfrei vorhandenen Hunger nach Ruhm und Erfolg befriedigen. Dann war ihm diese Einladung in die Hände gefallen, die für seine Pläne wie geschaffen zu sein schien. Er wusste, dass er verhindern musste, dass man sie schon jetzt in seiner Gesellschaft sah. Eine Verbindung mit ihm könnte ihrer Karriere schaden, und nur allzu schnell würde das Gerücht auftauchen, er missbrauche seinen Einfluss, um sie zu protegieren.
Obwohl Constantin die Öffentlichkeit mied, kannte man ihn in gewissen Kreisen. Sein Vermögen erlaubte es ihm, kulturelle Einrichtungen in aller Welt zu unterstützen, und allein dies verlieh ihm große Macht – die er geschickt zu nutzen verstand.
Das Fest, zu dem er Pauline heute führen wollte, wurde alljährlich von einem ebenfalls einflussreichen Mäzen veranstaltet. Die Damen trugen traditionell Masken. Eine spielerische Komponente, die alle Eingeladenen akzeptierten – wohl auch, weil nicht jede der begleitenden Damen tatsächlich eine war.
In diesem Jahr hatte, und das gab den Ausschlag für Constantin, eine der berühmtesten Sopranistinnen der Welt die Einladung angenommen und darüber hinaus versprochen, gemeinsam mit ihrem Mann, einem ebenso erfolgreichen Opernstar, einige Arien vorzutragen.
Die hohen Eintrittsgelder, die der Gastgeber verlangte, sollten einer Stiftung zufließen, die sich der musikalischen Förderung sozial benachteiligter Kinder widmete. Pauline, so hoffte Constantin, würden das Ambiente, die Prominenz und nicht zuletzt der karitative Aspekt begeistern – und er hätte ganz nebenbei Gelegenheit zu beobachten, wie sie sich auf gesellschaftlichem Parkett bewegte.
Dass er sie nun auch in diese Wohnung gebracht hatte, war eine spontane Eingebung gewesen, als er gesehen hatte, dass sie sich von einem Fünfsternehotel nicht beeindrucken ließ. Er mochte dieses Penthouse und überließ es gelegentlich auch Julian, der weit häufiger in Berlin zu tun hatte als er. Eine Weile lang hatte Constantin geglaubt, Julian würde im Mittelpunkt eines neuen Auftrags stehen, doch dem war offenbar nicht so … die Götter mochten wissen, warum.
Julian war
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