Gib mir deine Seele
kalt?« Er war stehen geblieben.
Unter seinem prüfenden Blick zog sie den Stoff ihres Morgenmantels enger zusammen und band den Gürtel neu.
Aufmerksam verfolgte er jede ihrer Bewegungen. Wozu brauchst du Fesseln? Der Gürtel würde es doch auch tun , flüsterte eine hungrige Stimme in ihm.
»Wenn du nicht frierst, dann bleib so, wie du bist. Es ist ohnehin praktischer.«
»Praktischer für wen?« Pauline blinzelte und hob die Hand zum Mund, als bereute sie die Frage sofort.
Dennoch glaubte Constantin, auch ein Lächeln zu entdecken. Von dem Schreck, bei Heimlichkeiten ertappt worden zu sein, hatte sie sich also erholt. Und offenbar besaß sie ein vorlautes Mundwerk, das sie gewiss häufig in Schwierigkeiten brachte. Fortan vielleicht noch mehr, denn er hatte beschlossen, sie zukünftig beim Wort zu nehmen. Das würde sie hoffentlich rasch lehren, ihm keine frivolen Angebote zu machen, wenn sie es damit nicht ernst meinte.
Eines hatte ihm diese Begegnung gezeigt: Pauline besaß wenig Erfahrung – und mit Männern wie ihm höchstwahrscheinlich überhaupt keine.
Jungfrau war sie nicht gewesen. Zum Glück. Nicholas’ Nachforschungen zufolge war sie von ihrer gleichfalls unerfahrenen Jugendliebe defloriert worden und hatte später mittelmäßigen Sex mit einem Kollegen gehabt, der sie mindestens einmal betrogen haben musste – diese Informationen stammten von Henry – und sich nach der Trennung schnell mit einer anderen getröstet hatte. Was für ein Idiot!
Dass sie dennoch relativ aufgeschlossen wirkte und manchmal geradezu erfahren, hatte sie gewiss ihren »Eltern« zu verdanken. Frauen, die sich das Recht herausnahmen, in einem kleinen Dorf nördlich von Oxford offen in einer lesbischen Beziehung zu leben. Die beiden würde er gern einmal kennenlernen.
Während des Essens, das ihnen von einem Butler aus dem ebenfalls im Gebäude befindlichen Hotel serviert wurde, erkundigte er sich nach Paulines bisherigem Leben und fand die Rechercheergebnisse sowie seine Vermutungen bestätigt. Nach ihren sexuellen Erfahrungen fragte er natürlich nicht, wohl aber nach ihrer Ausbildung. Pauline hatte ein Stipendium für eine renommierte Mädchen-Privatschule erhalten, die ein gewisses Kontingent für Schüler aus der näheren Umgebung bereithielt. Dort war auch ihr musikalisches Talent entdeckt worden. Klavierspielen hatte sie schon früh bei Marguerite gelernt, ebenso wie ihr akzentfreies Französisch, in das sie problemlos wechselte, als er sie darin ansprach. Meinten es die Götter doch gut mit ihm?
Constantin fiel auf, dass sie zwar reichlich Wasser, aber nur einen winzigen Schluck von dem Wein nahm. »Schmeckt er dir nicht?«
»Doch, er ist fantastisch. Aber ich vertrage Alkohol nur in homöopathischen Dosen.« Sie wies auf seinen Teller. »Ich habe mich nicht geirrt, du bist tatsächlich Vegetarier?«
»Nicht ganz. Wenn ich Fleisch esse, dann nur von Tieren, die ich selbst getötet habe.«
»Du machst Witze!«
»Keineswegs. Schieße oder schlachte ich ein Tier, was«, fügte er hinzu, um sie zu beruhigen, »nicht häufig geschieht, dann weiß ich meine Mahlzeit zu schätzen.«
»Du meinst also, wer nicht töten kann, soll kein Fleisch essen? Meine Tante hat Schafe für den Rasen, die sterben alle an Altersschwäche. Die Hühner allerdings landen regelmäßig im Topf. Früher, als ich noch ein Kind war, hat mir das nichts ausgemacht, aber heute wird mir übel, wenn ich nur daran denke, ihnen den Kopf abzuschlagen.«
Selbstverständlich sprachen sie auch über die Oper und was Pauline so an ihr faszinierte.
»Es ist schwer zu beschreiben. Mir kommt es vor, als würde die Musik jede Zelle in meinem Körper berühren. Ich fühle mich wacher, lebendiger. Es muss auch nicht unbedingt Klassisches sein, ich mag alternative Bands, auch einfach Songs aus den Charts oder musikalische Experimente. Ach, eigentlich fast alles.«
Ihre Freude an der Musik ist schon greifbar, wenn sie nur darüber spricht , dachte Constantin und ließ sich vom melodischen Tonfall ihrer Stimme bezaubern.
»Wenn ich singe«, fuhr sie fort, »dann ist das immer auch die Suche nach Perfektion. Nach diesem einzigartigen Augenblick, in dem alles stimmt.« Sie lachte perlend. »Im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Und die Zuhörer?«
»Ja, auch das. Natürlich. Sie können dich tragen … oder zerstören. Die Beziehung zum Publikum ist wie ein Spiel. Ein gefährliches Spiel. Wer es nicht beherrscht, kann schnell abstürzen. Und das wäre
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