Gib mir deine Seele
seine Lippen formten ein Gerade noch rechtzeitig , während er den Schlag für sie öffnete. Aus dem Augenwinkel nahm sie die neugierigen Blicke einiger Passanten wahr.
Allzu häufig verirrten sich Limousinen wie diese nicht in ihre Gegend.
6 Berlin – Provokationen
Das Einsteigen hatte Pauline eleganter geplant. Aber in der Eile blieb sie mit dem linken Absatz an der Karosserie hängen, und der Schuh – von Henry geliehen, und trotz vorn hineingestopfter Watte viel zu groß – wäre beinahe in den Rinnstein gekullert. In letzter Sekunde griff Nicolas danach. Mit einem entschuldigenden Blick zu Constantin zog sie ihn wieder an, als sie endlich im Auto saß.
Während sie noch ihren Rock zurechtzupfte und versuchte, die Handtasche irgendwo unterzubringen, fuhr der Wagen bereits an. »Hallo Pauline.« Seine Stimme klang kühl, aber unter der Oberfläche glaubte sie, Belustigung zu hören. Beides löste nicht gerade übermäßige Euphorie in ihr aus.
Mit so viel Contenance, wie nach dem Missgeschick möglich, sagte sie: »Guten Tag, Constantin. Schön, dich wiederzusehen.« Der Nachsatz: »Wohin fahren wir?«, ruinierte ihren Auftritt allerdings vollends.
»Hast du Lust auf ein Abenteuer?«
Constantins Stimme war tief und undeutbar. Wie immer einwandfrei gekleidet, wirkte er heute trotz seines formellen Tonfalls irgendwie verändert, fast eine Spur verwegen.
Jede Sekunde in seiner Gesellschaft war ein Abenteuer. Also bemühte sich Pauline um ein kühles Lächeln und sagte mit der besten Kurtisanenstimme, die sie aus dem Schauspielunterricht noch abrufen konnte: »Warum nicht, mon cher ?« Ihr Herz flatterte dabei wie ein aufgeregter Schmetterling.
Etwas Verborgenes, etwas, das sie nicht verstand, lag in seinem Lächeln, als er in seine Tasche griff und sagte: »Mademoiselle ist also zum Spielen aufgelegt. Sehr gut.« Dann wurde sein Ton härter. »Sieh aus dem Fenster!«
Pauline schluckte, doch dann tat sie, was er von ihr verlangte. Geheimnisvolle Spiele hatten ihr schon immer Freude bereitet. Ein seidiges Tuch legte sich über ihre Augen. Sie spürte, wie Constantin es an ihrem Hinterkopf verknotete.
»Du kannst es jederzeit ablegen.«
»Wieso …?«
»Hast du mich verstanden?«
»Ja, Constantin.«
»Wie fühlst du dich?«
»Nervös«, gab sie zu, doch zugleich huschte ein Lächeln über ihre Lippen. Was würde sie erwarten?
»Gut.«
Das lederne Knarren verriet ihr, dass er sich zurückgelehnt hatte. Sie tat es ihm nach und legte den Arm auf die Konsole, die ihre Sitze voneinander trennte.
Als ahnte er, wie aufgeregt sie war, berührte Constantin sie zart. Er zeichnete die Form ihrer Finger nach und ließ seine warme, kräftige Hand schließlich auf der ihren liegen.
»Hab keine Angst«, sagte er leise. »Ich bin bei dir.«
Danach war alles, was sie hörte, Dvořáks »Aus der neuen Welt.«
Wie passend , dachte Pauline und verlor sich in den Klängen der Sinfonie.
»Aussteigen.« Constantins Mund war so dicht an ihrem Ohr, dass Pauline seinen Atem spürte. Er nahm ihre Hand und zog sie aus dem Fahrzeug. Fürsorglich legte er einen Arm um ihre Taille und führte sie über glatten Asphalt, wenn die ihr verbliebenen Sinne sie nicht täuschten. Die Hintergrundgeräusche klangen im ersten Augenblick verwirrend, aber dann stieg ihr trotz des einsetzenden Regens diese einzigartige Mischung aus Kerosin und verbranntem Gummi in die Nase. »Wir sind am Flughafen!«
Ein Schirm schnappte auf, Constantin sagte: »Ja« und »Vorsicht, Stufe!« Er hielt sich so nah hinter ihr, dass sich ihre Körper gelegentlich berührten.
Zuerst stiegen sie Schritt für Schritt eine schwankende Treppe hinauf. Dann wurden ihre Schritte plötzlich von einem Teppich gedämpft. Gemurmel erklang, ganz nahe heulten Turbinen auf. Danach war der Lärm gedämpft. Die Tür war wohl geschlossen worden.
»Setz dich!«
Keine Bitte. Ein Befehl. Jemand legte ihr einen Gurt um die Hüften und schloss ihn mit lautem Schnappgeräusch. Das Flugzeug bewegte sich, nahm Fahrt auf, rumpelte. Pauline wurde in die Polster gepresst, und schließlich ließ der Druck nach.
Der Gurt wurde gelöst, und sie fragte unsicher: »Constantin?« Wie automatisch gingen ihre Hände hinauf zu der seidigen Augenbinde.
»Nein!«
Erschrocken zuckte Pauline zurück, wollte schon protestieren, doch dann spürte sie seine Nähe und legte die Hände in den Schoß. Es ist ja nur ein Spiel.
»Möchtest du etwas essen oder trinken?«, fragte er mit weicher
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