Gib mir deine Seele
kann?«
»Du machst Witze!«
»Ja. Aber irgendwie finde ich diesen Gedanken interessant.«
Jetzt legte Henriette ihre Karten beiseite und sah sie neugierig an. »Ist dir etwa das Fetisch-Shooting mit David zu Kopf gestiegen?«
»Quatsch. Ich meine ja nur. Dein Schiller sagt doch auch: Der Schmerz ist Leben. «
»Er ist nicht mein Schiller, und wenn ich mich richtig erinnere, dann geht das noch weiter …« Henry öffnete ihren Laptop, tippte etwas ein, schimpfte vor sich hin und las schließlich triumphierend vor: » Der Schmerz ist Leben, er verließ mich auch. Das Leiden ist, so wie die Hoffnung, aus.«
»Du weißt, mein Deutsch ist nicht gut.«
»Soll heißen: Der Typ ist gleich danach gestorben.«
»Oh, verstehe. Hast du Faulkner gelesen?«, fragte Pauline, die sich für das Thema erwärmte. »Der schreibt: Wenn ich die Wahl habe zwischen dem Nichts und dem Schmerz, dann wähle ich den Schmerz. «
»Hängt ein bisschen vom Grad des Leidens ab, findest du nicht? Ich glaube, das kann niemand beurteilen, der noch nie unerträgliche Qualen gelitten hat. So jemand ist doch froh, wenn es endlich vorbei ist.«
»Auch wieder wahr. Ich meine ja nur, ein bisschen Schmerz beim Sex kann doch ganz nett sein.«
Die wissende Aufmerksamkeit, mit der Henry sie plötzlich bedachte, trieb Pauline die Röte in die Wangen. Hatte sie zu viel gesagt?
»Mein Ding ist das absolut nicht.« Henry verzog das Gesicht. »Gibt es einen konkreten Grund für dieses Gespräch?«
»Allerdings. Dieser Kerl bricht mir das Herz, und trotzdem wünsche ich mir nichts mehr, als dass er mich anruft. Das ist doch der pure Masochismus, oder?«
»Dich hat es aber wirklich erwischt«, sagte Henry und stutzte. »Irgendwas piepst da doch …«
»Mein Handy!« Pauline sprang auf. Sie hatte extra den Klingelton geändert, um Constantins Anruf nicht zu verpassen, und jetzt steckte das verdammte Ding in der Handtasche, die auf ihrem Schreibtisch lag, und sie hätte es fast nicht gehört.
Als sie es endlich in der Hand hielt, war es schon wieder stumm. Constantin . Mit zitternden Fingern drückte sie die Tasten, um ihn zurückzurufen. Nach quälend langen Sekunden ertönte das Freizeichen.
Er geht nicht dran! Sieben Mal hatte es bereits geläutet. Bitte, lieber Gott, mach, dass … In ihrer Kindheit hatten viele ihrer Gedanken so begonnen, doch als ihre Mutter starb, hatte sie aufgehört zu beten.
»Pauline.«
Nun doch ein Stoßgebet: Gott sei Dank! »Constantin, es tut mir leid, ich war gerade in der Küche mit Henry …«
»Hast du Zeit für einen Ausflug?«, unterbrach er ihre Erklärung.
Und ob sie die hatte. »Ja, wohin …«
»Wir bleiben über Nacht. Der Wagen steht um drei Uhr vor deiner Tür.« Damit beendete er das Gespräch grußlos.
Dieses Mal war ihr das gleichgültig. Sie sah auf die Uhr. Drei Stunden und noch so viel zu tun!
Henriette begegnete ihr auf dem Flur und fuchtelte mit ihrem Telefon. »Du auch?« Sie strahlte. »Wer geht zuerst unter die Dusche?«
»Ich!« Pauline rannte los. »Wegen meiner Haare«, sagte sie entschuldigend, bevor sie der Freundin die Tür vor der Nase zuschlug.
Eine Minute vor drei war alles erledigt. Pauline griff nach ihrer Tasche und erstarrte. Die Tabletten! »Henry, bitte, kannst du runtergehen und ihm sagen, dass ich gleich da bin?«
Henry schien die aufkeimende Panik in ihrem Gesicht gelesen zu haben. Schnell lief sie zur Tür. »Beeil dich!«
Nicholas hatte sich ebenfalls gemeldet. Er und Henry wollten sich später treffen. Was für Pauline bedeutete, dass sie diesen Abend allein mit Constantin verbringen würde. Ein Hummelflug war nichts gegen das erwartungsvolle Summen in ihren Adern. Doch nun musste sie erst einmal diese verfluchten Pillen finden. In der Schreibtischschublade mochte sie Pauline nicht aufbewahren, weil sich Janice gern ungefragt in ihrem Zimmer umsah. Wo? Dann fiel es ihr zum Glück ein. Sie zog die Schachtel aus dem Versteck, nahm ein Kärtchen heraus und drückte die Tabletten eine nach der anderen in das kleine Emaille-Döschen, das sie vor Jahren auf einem Flohmarkt gekauft hatte. Harmlos sahen sie aus, und das war auch gut so.
Auf der Treppe kam ihr Henry entgegen. »Schnell, dein Liebster ist schon ungeduldig!« Hastig umarmte sie Pauline. »Viel Spaß!«, flüsterte sie ihr ins Ohr.
»Dir auch. Wir telefonieren!«, antwortete Pauline und sprang, gleich drei Stufen auf einmal nehmend, ins Erdgeschoss.
Nicholas nahm ihr die Tasche ab, zwinkerte ihr zu, und
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