Gib mir mehr - Scharfe Stories
er aus wie Nurejew, und er bewegte sich auch beinahe genauso anmutig. Aber Virgil McIntyre, der einzige schwarze Spieler im kanadischen Team, hatte den sü ßesten Arsch von allen.
Das machte ihn zu Hollys Liebling des Tages, und sie richtete ihre Augen die meiste Zeit auf die Nummer sieben der Kanadier. Ob sie wohl eine Glückszahl erwischt hatte? Sie beobachtete, mit welch brutaler Gewalt er seine Gegner aus dem Weg drängte und aufs Tor losstürmte. Er war ein Mann mit Präsenz und Persönlichkeit, das spürte man selbst durch den dicken Körperschutz hindurch.
Sie war so damit beschäftigt, die einzelnen Spieler zu mustern, dass sie erst gar nicht merkte, dass das letzte Tor den Warriors den Sieg gebracht hatte. Aber sie hatte ja ohnehin nicht mehr auf den Punktestand geachtet. Jetzt tobte das Stadion, und es erhob sich ein so ohrenbetäubendes Gebrüll, dass sie dachte, ihr platzte das Trommelfell.
»Es war so dicht dran! Es war so dicht dran!«, stöhnte der Journalist neben Holly außer sich vor Wut.
Auf wessen Seite stand er wohl, dachte sie.
Einige der Spieler hatten schon ihre Visiere hochgeschoben,
aber Obrenovic noch nicht. Es war frustrierend, dass sie ihn immer noch nicht sehen konnte. Ihre Frustration wich jedoch ihrem Mitgefühl, weil die kroatische Mannschaft so sichtlich enttäuscht war. Am liebsten wäre sie zu ihnen geeilt und hätte jeden Einzelnen getröstet und sie alle in den Arm genommen. Selbst wenn auf den Gesichtern dieser großen, furchtlosen Männer keine Träne zu sehen war, so wusste sie doch, dass sie tief im Innern bitterlich weinten. Und sie hatte es noch nie ertragen können, einen Mann weinen zu sehen, zumindest keinen richtigen Mann, denn für schniefende Weichlinge hatte sie nichts übrig. Als die Kroaten sich in die Kabine zurückzogen, weinte ihre Seele für sie, obwohl sie doch die Gegner ihrer auserwählten Mannschaft waren.
Als die Kanadier das Spielfeld für sich hatten, stellten sie ihre Freude übertrieben zur Schau. Sie schlugen sich gegenseitig auf den Rücken und rasten wie die Verrückten über das Eis. Sie fragte sich, ob das wohl alles noch zum Spektakel gehörte oder ob sie tatsächlich so aus dem Häuschen waren. Jetzt, wo sie gewonnen hatten, wirkten sie wie aufgeladen mit neuer Energie.
Manche hatten bereits ihre Helme abgenommen und liefen hinein, um sich den Fotografen für das übliche Siegerfoto zu präsentieren. Vermutlich würde es von jeder Zeitung abgedruckt, überlegte sie, sodass sie das ansonsten wenig bemerkenswerte Spiel nicht weiter beschreiben müsste. Ihr war zumindest nichts Erwähnenswertes aufgefallen, und vielleicht machte sie am besten nur eine Auflistung der Tore.
Über das Eis glitt Virgil McIntyre auf sie zu, den Helm in der Hand. Seine Haare waren viereckig rasiert, so ähnlich
wie bei Grace Jones. Die breiten Schulterpolster lie ßen seinen Körper nach unten hin spitz zulaufen. Wenn man ihn mit Gold überzöge, dachte sie, sähe er aus wie ein Oscar.
Majestätisch und lässig glitt er hinein. Er wirkte wie jemand, der sich für das irdische Leben zu großartig fand. Wie ein mythologischer Gott stieg er aus seinem luftigen Reich herab, um große Taten zu vollbringen, von denen man noch in Jahrhunderten berichten würde.
Journalisten und Fotografen umringten ihn. Kameras klickten und surrten, und Holly war einen Moment lang von den Blitzlichtern geblendet. Dann lichtete sich die Menge wieder etwas, weil die Spieler sich in die Kabine zurückzogen.
Douglas, der kanadische Captain, wurde bestürmt, ein Interview zu geben, und sofort drängten sich wieder Reporter um ihn. Schade, sie hatte keine Chance, an ihn heranzukommen. Er hatte ein hübsches Gesicht, passend zu seinen großartigen Waden, wie sie feststellte. Trotz seiner Größe hatte er etwas Jungenhaftes, Naives sogar, und in seinen lachenden Augen stand ein freches Funkeln. Er wäre ein guter Ersatz für Obrenovic.
Die kroatischen Fans umringten McIntyre. Sie beobachtete von ihrem Platz aus, wie er höflich und knapp ein paar Fragen beantwortete. Seine Miene war undurchdringlich, und seine dunklen Gesichtszüge hatten etwas Faszinierendes und Statisches. Sie hätte gerne gewusst, ob man ihm seine Gedanken an den Augen ablesen könnte oder ob sich irgendwelche Emotionen auf seinem Gesicht abzeichneten, wenn man ihn von nahem sähe. Vielleicht sollte sie es einfach mal versuchen? Sie stand auf und
stellte sich dicht an die Umrandung, wo er vorbeikommen musste, wenn er in
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