Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
Vom Netzwerk:
bessere Zukunft steuerten.
    »Als ich dich besuchte, habe ich mit versteckter Kamera Aufnahmen von deiner Arbeitsstätte und den dort beschäftigten Menschen gemacht«, sagte Marlene. Und sie spielte mir den Film vor. Es war ein Schocker.
    Erhard, Jutta, Anja, Eimer und die anderen waren keine schlanken, jugendlichen Menschen, sondern sahen eher wie fette, meditierende Kröten aus. Ihre Augen waren offen und starrten blicklos ins Leere. Sie bewegten sich kaum, und wenn doch, dann wie Marionetten an Schnüren. Kein Wort wurde zwischen ihnen gesprochen, die Unterhaltungen liefen alle auf Welle ab und wurden von ihren Maiden und Buben forciert. Es war wie eine Szene aus dem Emorama »Fauna«, in dem es um eine mutierte Natur ging, die die menschliche Zivilisation überwucherte. Das Interieur – lange Pulte, an denen die Denkgenossen wie Fließbandarbeiter aufgereiht waren, eine grelle blendende Beleuchtung, die nicht auf die Bedürfnisse des menschlichen Auges abgestimmt war, und kahle Wände, staubige Böden und spinnwebenverhangene Winkel – hätte aus dem Fundus von »Schmutz« stammen können, in dem es um die unhygienischen Bedingungen der Vau-Effeszett ging.
    »So sind die Verhältnisse in der Parteizentrale von Cyril Corby wirklich«, erklärte Marlene, »und keineswegs so steril und geordnet, wie es dir deine Maid vorgegaukelt hat. Obwohl das auch nicht ganz mein Geschmack gewesen wäre. Aber auf Äußerlichkeiten legen die Denkanstalten keinen Wert, sie sind nur auf den Zweck ausgerichtet. Und ihr einziger Zweck ist es, die absolute Macht über die Erde zu bekommen.«
    »Wie stark ist die örtliche Freidenkergruppe?« fragte ich. Das Sprechen ging schon ganz gut. »Wieviele gibt es? Hunderte? Tausende?«
    »Komm mit, ich werde dich mit den anderen bekanntmachen.«
    Marlene mußte mich stützen, denn ich war etwas schwach auf den Beinen. Aber Molly konnte sie mir nicht ganz ersetzen. Wir kamen in einen größeren Raum, ein Gewölbe schon, mit unzähligen Bücherregalen an den Wänden. Und Staub überall. Der Anblick allein reizte mich zum Husten. Zwischen den Bücherregalen standen einige technische Apparaturen. Schwarzsender, Abhöranlagen und dergleichen mehr, wie mir später erklärt wurde.
    »Kommt mal alle her, Bert will euch kennenlernen!« rief Marlene, und ihre Stimme widerhallte in dem Gewölbe. Nach und nach fanden sich etwa dreißig verlottert wirkende, zottelige Gestalten beiderlei Geschlechts ein.
    »Das sind alle«, sagte Marlene bitter. »Dabei hat diese Stadt eine besonders starke Ortsgruppe. In Paris haben wir unter viel schwierigeren Bedingungen zu kämpfen, und wir sind nur eine siebenköpfige Gruppe.« Ich schüttelte ungläubig den Kopf und spürte, wie das Fett meines Doppelkinns schwabbelte. Mir ekelte vor mir selbst.
    »Die Dunkelziffer muß viel größer sein«, behauptete ich.
    »Alles nur Propaganda«, sagte ein schlaksiger, langhaariger Kerl mit einem spitzen Kinnbart, der sich zwischendurch als Arlo vorstellte und sich als CCCP-Spezialist ausgab. Arlo war es gewesen, der Marlene auf mich angesetzt hatte.
    »Propaganda?« wiederholte ich. »Warum sollten die Nachrichtenmedien der Denkanstalten solcherart negative Propaganda betreiben? Was bringt das ein?«
    »Computerlogik«, sagte Arlo. »Aber eigentlich dürfte diese Propaganda von den in den Denkmaschinen integrierten menschlichen Bewußtseinen ersonnen worden sein. Man will den Denkgenossen schließlich etwas Nervenkitzel bieten. Die Emoramas reichen nicht ganz aus. Es sind ja trotz allem nur erfundene Geschichten. Aber man will die Denkgenossen bei der Stange halten, sie sollen um das Erreichte bangen müssen. Umweltverschmutzung und Bevölkerungsexplosion sind keine realen Gefahren mehr. Also schreibt man einige Geschichtskapitel, wie sie auch das Leben schreiben könnte. Man erfindet Heere von Dissidenten und Freidenkern, die das herrschende System bedrohen, damit die Denkgenossen was zum Fürchten haben. Müßiggang allein genügt doch nicht, selbst wenn er ins Krematorium führt. Was hältst du von der Krise in Neutral-Asien, Bert?«
    »Ich weiß nicht recht«, sagte ich ausweichend. »Unter Molly-Maids Einfluß habe ich den Eindruck gehabt, daß von dort die Weltrevolution gegen das Computerdenken ausgehen könnte. Ich war für den Einsatz der Demolitionsbombe. Aber jetzt … ich weiß nicht.«
    »Siehst du, darauf zielen die Meinungsmacher ab«, sagte Arlo. »Die Computer wollen die Verantwortung für den Einsatz der

Weitere Kostenlose Bücher