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Gib mir Menschen

Gib mir Menschen

Titel: Gib mir Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
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mir danach widerfuhr.
    Es ist unglaublich, aber wahr. So phantastisch wie die Utopien über Freidenkerstaaten, nur ist es die volle Wahrheit.
    Ich muß Bekenntnis darüber ablegen, daß die böse Saat der Freidenker in meinem Gehirn Wurzeln geschlagen hat. Sie pumpten mich zuerst leer, indem sie mir Molly-Maid nahmen, und das Vakuum in mir haben sie dann mit ihrem unheilvollen Gedankengut angefüllt. Sie haben Gift in mich gespritzt, noch und noch.
    Nach meinem Erwachen aus der Ohnmacht war Leere in mir. Meine Finger tasteten vergeblich nach dem Käppi, aber sie bekamen auch nicht die Tonsur zu spüren, sondern einen dicken, klebrigen Verband, der meine »Computerwunden« verdeckte, so drückte Claire es aus.
    Claire, die gar nicht Claire hieß.
    »Ich bin auch noch Miß Rouen«, erklärte sie mir, »Klein-Albert, Sandra, die notorische Zweiflerin, und ich habe dich unter gut einem Dutzend weiterer Decksnamen angeschrieben. Warum ich das tat, willst du wissen?«
    Ich selbst war viel zu abgestumpft, um Fragen stellen zu können. Ohne Molly-Maid war ich völlig hilflos. Ich konnte gerade noch verstehen, was Claire, die nicht Claire war, sondern Marlene hieß, sagte. Aber selbst war ich nicht in der Lage, zusammenhängende Sätze zu sprechen. Meine Gedanken waren klarer. Marlene begründete meine Artikulierungsschwierigkeiten damit, daß ich das Sprechen fast verlernt hatte, weil ich unter Molly-Maids strengem Regime nur selten Gelegenheit fand, Unterhaltungen zu führen.
    »Deine Molly-Maid hat dir nur den Eindruck vermittelt, daß du Gespräche führst«, behauptete Marlene. »In Wirklichkeit war das in den meisten Fällen nur Illusion, wie übrigens fast alles, was Molly dich sehen, hören und denken ließ. Du warst hundertprozentig computergesteuert. Ein Beispiel: Wie hast du dein Aussehen in Erinnerung?«
    »Verschwommen …«
    Es kostete mich Mühe, dieses eine Wort zu formen. Leichter war es schon, in das Vakuum meines Gehirns das Bild eines stattlichen Mannes Mitte der Zwanzig zu zaubern: Groß, mit durchtrainiertem Körper, breiten Schultern, schmalen Hüften, und einem asketisch-kantigen Gesicht, in dem dunkle Augen von einem regen Geist kündeten.
    »Hier ist ein Spiegel.«
    Als ich das blasse, aufgedunsene Gesicht sah, das mir aus dem Spiegel entgegenstarrte, bekam ich einen argen Schrecken.
    »Das … nicht ich!«
    Ich konnte nicht glauben, daß dieses fette, schwammige Gesicht das meine sein sollte.
    »Du bist ein typisches Kind der Computergesellschaft«, sagte Marlene. »Ein Zuchtprodukt der dritten Generation. Dein Körper ist für die CCCP unmaßgeblich, es kommt nur auf deinen Geist an. Deine bisherige Erziehung lief nur darauf hinaus, dich für eine Symbiose mit den Denkmaschinen auszubilden. Mehr Bedeutung kommt dir nicht zu.«
    Langsam gewöhnte ich mich an eigenständiges Sehen. Das Zimmer, in dem ich untergebracht war, glich einem Rattenloch, wie es in »Schweiß« gezeigt wurde. Marlene sagte, daß das Versteck ihrer Gruppe in einem Archiv der alten Staatsbibliothek liege.
    »Hier sind wir sicher.«
    Marlene stammte tatsächlich aus Paris. Die örtliche Widerstandsbewegung hatte die Pariser Gruppe auf mich aufmerksam gemacht und dann Marlene auf mich angesetzt. Sie hatten die Sache so geschickt manipuliert, daß es aussah, als sei ich zufällig in Marlenes, recte Claires Frequenz geraten. Um mehr über mich herauszufinden, hatte sie mich unter mehreren Pseudonymen und auch anonym kontaktiert. Erst als sie genug über mich herausgefunden hatte, waren die Freidenker zum Angriff übergegangen, um mich aus der Computerabhängigkeit zu befreien.
    »Zum Glück sind die Computer nicht unverwundbar«, sagte Marlene. »Man kann ihre Speicher anzapfen, falsche Programmierungen eingeben und sie sogar in gewissem Maß steuern. Computer sind eben doch nur Maschinen. Aber das ändert sich mit der Zeit, und wenn sich die KODE konsolidiert hat, dann kommt eine schwere Zeit für uns.«
    »Warum ausgerechnet ich?« wollte ich von ihr wissen.
    »Du bist ein hohes Tier gewesen, einer der letzten Menschen in einer so verantwortungsvollen Position. Wir versprechen uns sehr viel von dir, Bert. Du könntest uns helfen, daß die Computergesellschaft in einigen Jahren der Vergangenheit angehört. Obwohl die Realität anders aussieht, hat die Menschheit noch eine gute Überlebenschance.«
    Was redete sie da! Meine Erinnerung zeigte mir eine Realität, in der die Denkanstalten die Menschen mit Riesenschritten in eine

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