Gib mir Menschen
einmal, und das war vermutlich ein Fehler, denn er begann in mir zu nagen.
»Andy, du bist dran!«
»He, Roter, schläfst du? Was ist los mit dir, wir warten auf deine Ansage.«
Ich starrte auf das Blatt in meiner Hand, ohne die Karten wirklich zu sehen. Ich hielt mit und wollte sehen. Irgend jemand trat mir unter dem Tisch gegen das Schienbein. Aber ich merkte erst, daß ich einen Bock geschossen hatte, als Alfons mit zittrigen Fingern den ganzen Pott kassierte. Als er kurz darauf wieder den Tisch in Richtung Lokus verließ, schlug mir Flipper-Adi ziemlich unsanft mit der flachen Hand auf die Stirn.
»Ich dachte, wir wollten den Knilch ausnehmen«, sagte er grollend. »Aber du stopfst ihm das Geld geradezu in die Ohren.«
Da kam Fritz’ Anruf über die Gegensprechanlage. Er meldete, daß Emma, wie angefordert, eingetroffen sei, und ob er ihn hinaufschicken könne. Emmerich Grühner war ein Kriminaler, der bei Kavaliersdelikten und in Bagatellfällen gerne ein Auge zudrückte und sich von uns sein Einkommen aufbessern ließ.
Ich entschloß mich, die Kartenrunde abzubrechen, und schlug Alarm. Alfons, der gerade zum Tisch zurückkam, bekam ganz weiche Knie, als er das Wort »Razzia« hörte. Erika nahm seinen Hut und Mantel und versprach ihm, ihn solange in ihrem Arbeitszimmer, zwei Etagen tiefer, zu verstecken, bis die Luft rein wäre. Aber Alfons war kaltblütig genug, den Umweg über den Pokertisch zu machen und seinen Gewinn einzustreichen. Das Geld quoll ihm dann förmlich aus den Taschen, und ich konnte nur hoffen, daß Erika die Gelegenheit nützte, um einige der blauen Scheinchen zu fischen.
Als wir allein waren, machte Charly mir Vorwürfe, weil ich uns die Tour vermasselt hatte. Ich schwieg zu den Vorwürfen, weil mir anderes durch den Kopf spukte.
»Mach keinen Wind«, griff Claerence schlichtend ein. Er verdankte seinen Spitznamen dem Umstand, daß er so schielte wie der gleichnamige Löwe aus einer Fernsehserie. »Immerhin sind wir pari ausgestiegen.«
»Vergeßt Emma nicht«, erinnerte Tibor, der Klavierspieler, der die schönsten Hände weit und breit hatte, jedoch mit Tresoren besser umgehen konnte als mit Musikinstrumenten.
Wir legten zusammen, bis wir eine runde Summe hatten. Da läutete es auch schon an der Tür. Ich raffte die Scheine an mich und ging öffnen. Draußen stand Emma und hielt die Hand auf. Während er das Banknotenbündel sortierte, jammerte er über die allgemeine Teuerung und darüber, daß die Beamtengehälter nicht mit dem steigenden Index Schritt hielten. Ohne viel Wind zu machen, steuerte ich einen Tausender aus meiner Tasche bei, denn ich wollte ihn und die ganze Bande rasch loswerden. Sie gingen auch ohne großes Murren.
Dann war ich allein und genoß die Stille als Labsal. Der Zigarettenqualm und die heillose Unordnung störten mich nicht im geringsten. Es war ein Stilleben, das ganz gut zu meiner Stimmung paßte. Ich genehmigte mir einen Drink und stellte das leere Glas auf die aufgeschlagene Zeitung vor mir. Es verdeckte die Überschrift der Rubrik »Allgemeines« zur Hälfte. Ich nahm es wieder weg und sah, daß der Whisky einen halbmondförmigen Rand hinterlassen hatte, der quer durch die Anzeige ging und das Wort, auf das es mir ankam, in »Un« und »Sterblichkeit« teilte.
Ich las den Text ein paarmal in einem Zug durch.
Dort stand schwarz auf weiß:
TAUSCHE MULTIPLE UNSTERBLICHKEIT GEGEN EINFACHEN TOD.
Wenn Sie interessiert sind und die erforderliche moralische und ethische Reife zu haben glauben, um eine große Verantwortung tragen zu können, dann rufen Sie …
Die Telefonnummer, die dann folgte, hatte auf mich eine geradezu hypnotisierende Wirkung, und ehe ich mir dessen recht bewußt wurde, hatte ich mir das Telefon herangeholt und wählte die Nummer. Erst das Läuten im Hörer ließ mich mein Tun erfassen. Was wollte ich denn sagen? Im allgemeinen war ich nicht gerade auf den Mund gefallen, aber im Augenblick war mir nicht zum Witzereißen zumute. Aber wie anders sollte man auf eine Anzeige reagieren, die nur ein Ulk sein konnte?
Ich hätte wieder auflegen sollen, aber da meldete sich bereits eine undeutliche Frauenstimme. Mir fiel auf Anhieb nichts Besseres ein, als zu sagen:
»Hier ist einer, der gerne dem Tod ein Schnippchen schlagen möchte …«
»Sie sind ja betrunken!« sagte die Frauenstimme mit strengem Unterton. Ich sah unwillkürlich eine alte Jungfer vor mir. »Wenn es Ihnen ernst ist, dann rufen Sie wieder an, wenn sie
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