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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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oder?«
    »Meine Tochter dreht mir das Wort im Mund herum! In meinem Haus!«
    »Du hast wirklich einen undankbaren Job. Zum Glück stimmt wenigstens die Bezahlung.«
    »Bei alldem geht’s aber doch nicht nur ums Geld.«
    »Sagte der Banker in seiner Villa in Dahlem.«
    »Es geht um eine Einstellung. Um eine Haltung.«
    »Und welche?«
    »Immer für seine Kunden da zu sein. Das Unmögliche möglich zu machen. Ich gebe dir ein Beispiel. Feierabend, ich will gerade das Büro verlassen, da klingelt das Telefon. Ich bin noch da, also gehe ich ran. Es ist eine alte Kundin, Frau Schiefendecker, die Witwe eines Sprengmittelfabrikanten.«
    »Siehst du?«
    »Der Mann hat Tunnelbauer beliefert, ja? Also halt dich zurück. Die gute Frau ist fast neunzig Jahre alt, aber sie sitzt unten in ihrem Haus am Wannsee und sorgt sich über ihre Anlagen. Sie hat ferngesehen, und da sagen die Gelehrten, dass ihre Obligationen bald das Papier nicht mehr wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Frau Schiefendecker hat die Weltwirtschaftskrise und die große Inflation miterlebt, sie weiß, wovon die Leute reden. Jedenfalls ist sie völlig aufgelöst, erkundigt sich höflich nach meiner Frau und meinen Kindern und kommt dann zum Geschäftlichen: Sie möchte Gold. Und zwar gleich.
    Gut, sage ich, Gold also. Kein Problem. Gerne. Wir machen eine beratungsfreie Order, und der Drops ist gelutscht.
    Wann ich das Gold denn bringen könne, möchte Frau Schiefendecker von mir wissen.
    Ich?, sage ich. Bringen?
    Das Gold. Sie möchte es gern noch heute Abend in ihrem Tresor deponieren. Schließlich gehe draußen die Welt unter.
    Aber liebe gute Frau Schiefendecker, sage ich. Alles was Recht ist. Natürlich erfülle ich Ihnen jeden Wunsch und so weiter, Sie sind eine unserer besten Kundinnen, und Ihr Mann hat schließlich schon im Kaiserreich das Erz aus dem Boden gesprengt, aber Gold investiert man doch heutzutage ganz komfortabel in seinem Portfolio, wozu hat man denn einen Hausbankier?
    Nichts da. Wenn die Anleger die Bank stürmen und mir den Kopf abschlagen, sei ihr Gold futsch, sagt sie.
    Nun hätte ich mir sagen können: Die Schiefendecker ist alt und wird demnächst eh ins Gras beißen, was soll ich mich aufregen. Morgen mache ich eine Goldorder über 50.000 Euro, und nach ihrem Mittagsschlaf wird die Frau vergessen haben, wer ich bin. Aber das habe ich mir nicht gesagt. Und weißt du, warum nicht?«
    »Ich weiß es nicht, aber ich möchte es wirklich sehr, sehr gerne wissen, Papa.«
    »Ein einfaches Nein hätte gereicht. Der Grund ist, ich habe verstanden, was Frau Schiefendecker von mir gewollt hat: nämlich Gold, und nicht ein Papier, auf dem steht, dass sie Gold hat. Es ist nicht meine Aufgabe, über Frau Schiefendeckers Geistes- oder auch nur Informationsstand zu urteilen, sondern sie nach bestem Wissen zu beraten und ansonsten ihre Wünsche zu erfüllen, sofern sie mit ihrem Geld zu tun haben. Und wenn Frau Schiefendecker Gold für ihr Geld kaufen will, dann bin ich nicht nur der Richtige, sondern ich bin überhaupt der einzig Richtige dafür, und damit das auch so bleibt, hänge ich mich sofort ans Telefon und rufe die Bundesbank in der Leibnizstraße an. Hast du schon mal versucht, am Freitagnachmittag um kurz vor vier sechzig Unzen Gold aufzutreiben?«
    »Klar, mach ich dauernd.«
    »Das erste Problem ist schon mal, überhaupt jemanden ans Telefon zu bekommen. Falls du einen kriegen solltest, ist er nicht zuständig, und wenn er zuständig ist, ist er nicht befugt, und wenn er befugt ist, hat er den Schlüssel nicht. Falls er den Schlüssel wider Erwarten doch haben sollte, ist er mit Sicherheit weder zuständig noch befugt.«
    »Haben die denn heutzutage überhaupt noch Gold vorrätig?«
    »Gold? Vorrätig? Ich sag’s dir im Vertrauen, das Gold ist eine Erfindung der Amerikaner, genauso wie der Mond. Aber egal, in irgendeiner Ecke ihres Tresors haben sie wohl noch was gefunden, was ein bisschen so glänzt wie Gold, also soll ich vorbeikommen und es abholen, am besten vor fünf, am Freitag mache man gern zeitig Feierabend. Allerdings muss ich auch noch einen Werttransport buchen. Also rufe ich bei Herwegh an, aber die beklagen sich erst mal bei mir, dass Freitagnachmittag immer alle auf den letzten Drücker kämen. Willkommen in Deutschland.«
    »Wenn du jetzt ›Servicewüste‹ sagst, gehe ich ins Bett.«
    »Das Ende vom Lied ist, dass ich um halb neun abends vor dem schiefendeckerschen Kamin sitze, ein Gläschen Cognac trinke und sehe,

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