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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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jahrelang beschäftigt hat, wie ich mich eingemischt habe in euer Leben. Ich wollte wissen, wie es ihr geht. Ich dachte, es würde vielleicht mein Gewissen beruhigen, wenn sich die Vorbehalte, die ich damals gegen sie gehabt hatte, bestätigt hätten.
    Herr Buttgereit fand ziemlich schnell heraus, dass sie seit Mitte der neunziger Jahre in Slowenien lebt. Ich weiß nicht, ob du das weißt. Sie hat ein Kind bekommen, Thomas. Damals. Es muss ein paar Monate nach eurer Trennung gewesen sein. Ich weiß nicht, warum sie dir nichts davon gesagt hat. Aber ich, Thomas … Ich habe von der Schwangerschaft gewusst. Ich habe Carolin Geld gegeben für eine Abtreibung. Sie wollte ohnehin ins Ausland gehen, das weißt du sicher, schon vor eurer Trennung. Das hatte nicht das Geringste mit mir zu tun. Es war ihr Plan, in dem du nicht vorgesehen warst. Genauso wenig wie das Kind.
    Dass sie es bekommen hat, erstaunte mich, als ich es erfuhr. Sie hat es nach der Geburt weggegeben, zu Pflegeeltern. Donnie. So heißt der Junge, der Himmel weiß, warum. Ich war regelrecht schockiert, als Buttgereit ihn erwähnte.   Soll ich auch Erkundigungen über den Sohn einziehen?  – Natürlich dachte ich im ersten Moment an einen anderen Sohn, ich dachte nicht, dass … Aber natürlich wollte ich sichergehen. Das Geburtsdatum passte zu dem Zeitpunkt eurer Trennung. Ich weiß nicht, was du sagen würdest, Thomas. Ob du mich hassen würdest.
    Es ist keine schöne Geschichte, die ich erfahren habe. Ich hatte mich mit Buttgereit in einem Café am Gendarmenmarkt getroffen, nicht weit von jener Stelle entfernt, wo vor dem Krieg unser Bankhaus gestanden hatte. Ein konspiratives Treffen, wenn du so willst. Um uns herum lauter Touristen, es fiel nicht weiter auf, wie er mir die Fotos hinüberschob. Außerdem hatte er Akten vom Familiengericht, vom Jugendamt, Berichte aus Heimen und Notunterkünften. Und er hatte sein Profil auf Jappy und Facebook geknackt. Er hat wirklich ganze Arbeit geleistet.
    Ein Bengel von 16 Jahren, dieser Donnie. Kapuzenpullover, dazu eine dieser Rappermützen. Bei Pflegeeltern aufgewachsen. Bei verschiedenen Pflegeeltern. Auch in Heimen. Hat eine Reihe von Vorstrafen, kleinere Delikte. Ladendiebstahl, Schwarzfahren, unbezahlte Rechnungen. Ein paarmal mit Haschisch erwischt worden. Und ein paar … zwielichtige Kontakte. So drückte sich Buttgereit aus. Ich weiß nicht, wie ich das anders nennen soll. Zwielichtig. Erwachsene, die sich mit Jungs abgeben. Halben Kindern. Buttgereit hat sich im Internet mit ihm verabredet.
    Und zu dieser Verabredung ging dann ich.
    Der Treffpunkt war das Tabasco in Schöneberg. Eine Gegend, in die ich mich nicht einmal bei schönem Wetter verirren würde. Ich fuhr mit dem Mercedes hin, wollte in der Eisenacher-Straße parken, stellte fest, dass da mit dem Juwelier Pankreuther ein Kunde von uns saß, und fuhr endlos im Karree. Es begann zu regnen. Ein ums andere Mal entdeckte ich eine Parklücke, aber plötzlich erschien mir alles verfänglich. Ich fuhr um den Nollendorfplatz herum und dachte, dass es sicherer sei, zu Fuß zu gehen, aber als ich den Motor abgestellt hatte und aussteigen wollte, ging mir auf, dass die Wahrscheinlichkeit, gesehen zu werden, auf diese Weise viel größer war. Es ist schon komisch, wie ich mich anstellte. Als würde ich etwas Verbotenes tun. Schließlich parkte ich genau da, wo ich schon gestanden hatte. Es war kurz vor acht, es war Zeit. Ich stieg aus. Es sah aus wie ein ganz normales Berliner Lokal, keineswegs anrüchig; trotzdem sah ich mich zu beiden Seiten um, bevor ich hineinging.
    Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper. Es war nicht so sehr die Furcht, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Ich habe noch nie Probleme gehabt, zu dem zu stehen, was ich tue. Nein, es war etwas anderes. Die Tatsache, dass ich mich verdruckst und unwohl fühlte, während alle um mich herum – die Bar war mäßig gefüllt – völlig ausgelassen zu sein schienen. Die meisten sahen aus wie ganz normale Männer. Grauhaarig, mit Bierbäuchen und gezwirbelten Bärten. Es wurde viel gelacht. Niemand beachtete mich. Dass ich sofort als Eindringling zu erkennen sein würde, dass man mich taxieren, vielleicht sogar beargwöhnen würde – das alles war nur meine Einbildung.
    Ich wartete fünf Minuten, zehn Minuten, dann fing ich an, mich zu fragen, was ich hier eigentlich tat. Wenn der Junge tatsächlich auftauchte, dachte ich, würde ich nichts zu sagen wissen. Und was passierte? Genau in dem

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