Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
Vom Netzwerk:
wie die alte Dame vor Dankbarkeit weint. Sie hat Hitler, die Bomben der Amerikaner und den Solidarpakt überlebt, aber jetzt sitzt sie in ihrem Ohrensessel und weint, weil ich ihr etwas Gold vorbeigebracht und ihren Lebensabend damit vor dem Ruin gerettet habe.«
    »Eine schöne …«
    »Ich bin noch nicht fertig. Weißt du, was ich mit dieser mühsamen Aktion verdient habe, die mich den ganzen Nachmittag gekostet hat? Null Komma nichts habe ich damit verdient. Wenn ich die Provision gegen die Kosten für den Werttransport aufrechne, habe ich sogar Verlust gemacht. Frau Schiefendecker war ihr Leben lang Kundin bei meiner Bank, und wenn es überhaupt etwas gibt, das Ehrbarkeit für mich auszeichnet, dann, Verantwortung für meine Kunden und Mitarbeiter zu übernehmen, auch wenn es mir gerade nicht passt, Punkt. Den Satz kannst du dir aufschreiben und an den Schminkspiegel kleben.«
    »Ich schminke mich nicht, aber danke, Vater.«
    »Nenn mich nicht Vater, dann fühle ich mich so alt.«
    Wenn ich es mir recht überlege, waren das schöne Worte von mir, Stefanie, aber leider waren die wenigsten wahr. Das heißt, die Geschichte stimmt schon, sie ist so passiert. Aber was heißt das schon. Was habe ich dir sagen wollen, als ich sie dir erzählte? Ich denke, ich habe sie als Beispiel gemeint, als Paradigma meines Handelns. Aber unter dieser Last bricht jede Geschichte zusammen und wird zur Lüge. Ich mag ein paarmal jener noble Diener meiner Kunden und Ideale gewesen sein, aber die Wahrheit ist, dass ich es mir nicht leisten konnte, es immer zu sein. Ein einziges Gespräch zwischen Vater und Tochter macht mich noch nicht zu dem Menschen, als der ich erinnert werden will. Das ist die wahre Bilanz, Stefanie, ich denke, du bist klug genug, das zu wissen. Es gibt so viele Dinge, die ich bedaure und nicht mehr genügend bedauern kann.
    Es gibt da diesen Berliner Künstler, Falb, ein wahnsinniges Talent. Vielleicht habe ich ihn damals sogar erwähnt, ich kenne ihn schon seit ein paar Jahren. Er hat eine große Werkstatt in Kreuzberg. Ich habe Falb jahrelang unterstützt, indem ich ihm immer wieder seine Werke abkaufte, manchmal sogar, ohne sie vorher gesehen zu haben. Er konnte mit mir rechnen, hat eine veritable Existenz darauf gegründet, eine richtige Kunstmanufaktur. Der Traum dessen, wenn du so willst, was ich immer habe aufbauen wollen: Menschen, die ihren Traum verwirklichen und dadurch Arbeit und Wohlstand schaffen. Ein simples Konstrukt.
    Aber ich habe ihn fallen lassen, Stefanie, so wie viele andere. Ich musste es tun. Nicht, dass ich die Verantwortung dafür anderen in die Schuhe schieben will, aber ich hatte kaum eine Wahl. Nicht zuletzt Sie, lieber Feldberg, mein kühler Zahlenfreund, haben mich daran erinnert, dass derartiges Mäzenatentum nur bei wirtschaftlicher Blüte eine Zier ist. Ich bin Ihnen natürlich dankbar dafür, dass Sie darüber gewacht haben, was wir uns leisten können und was nicht, auch wenn mein Engagement für Kunst ganz allein meine Sache gewesen ist und nicht Ihre. Aber ein harter Hund, Feldberg, der darf keine Kompromisse machen bei der Wahrheit, nicht wahr?
    Falb hat viele Menschen beschäftigt, Leute, die von ihm abhingen und damit auch von mir. Ich habe sie im Stich gelassen. Im Stich lassen müssen. Auch das ist eine dieser Geschichten.

5
    Ich habe euch nicht mehr erzählen können, was ich am Nollendorfplatz gemacht habe, als Holt mich aus Frankfurt anrief und ich, nun ja. Es stimmt schon, was die Leute denken werden. Ich bin unter der Welle hindurchgetaucht. Bin unter Wasser geblieben. Nennt es fehlende Kraft, fehlenden Mut. All dies zählt nicht mehr.
    Es hat mit dir zu tun, Thomas. Du würdest mir vielleicht nicht glauben, wenn du mich jetzt hören könntest. All die Jahre hätte ich einfach zum Telefon greifen können, hätte sagen können: Hallo, mein Junge. Ich bin’s, dein Vater. Es wäre einfach gewesen, so einfach. Alles hängt nur an einem kleinen Schalter im Kopf, glaube ich, dem Stolz. Ich hätte gern gesagt: Wie geht es dir, was tust du?
    Ich glaube, du weißt nichts von der Sache. Ich selbst habe Jahre und einen Privatdetektiv gebraucht, um es herauszufinden. Ein freundlicher Mann, Buttgereit mit Namen, zwei Meter groß und glatzköpfig, ungefähr das Gegenteil von dem, was ich als unauffällig bezeichnen würde. Der Mann sah aus wie ein Marineausbilder. Am Anfang trieb mich nur der Gedanke … ich weiß nicht einmal, was für einer. Du musst wissen, dass es mich

Weitere Kostenlose Bücher