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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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Krone der Gärtner jedes Frühjahr rund schnitt. Sie waren noch ohne Blätter. Das Astwerk des Baumes wirkte wie ein System verzweigter Nervenbahnen, das am Ende zu einem einzigen Stamm zusammenlief. Doch das war nur scheinbar. In der Erde, an der Wurzel, setzte sich die Verzweigung fort. Oder begann.
    »Es wird das Beste sein«, sagte Feldberg, »wenn ich alles Beiwerk weglasse. Es ist nicht allein Bernhard. Die BaFin hat uns abgeschnitten. Es gehen keine Zahlungen mehr rein oder raus. Sie werfen uns Umgehung der Eigenkapitalvorschriften und Steuerhinterziehung vor. Wahrscheinlich Subventionsbetrug. Es kommen alte Sachen hoch.«
    »Dann erwirken wir eine einstweilige Verfügung. Ruf Hafer-Lorisch an.«
    »Das habe ich schon. Er sieht im Moment genauso wenig wie ich, wie wir uns wehren können.«
    »Er sieht nicht, wie wir uns … Wozu ist er denn unser Anwalt?«
    »Die Vorwürfe sind zutreffend. Wir haben teilweise recht innovativ Buch geführt.«
    »Wir haben   was ?«
    Die Ungeheuerlichkeiten, die Feldberg da äußerte, schienen ihn nicht aus der Ruhe zu bringen. Vielleicht war er zu erschöpft. Er trank einen Schluck Kaffee und nahm einen Keks.
    »Wir? Ich weiß davon nichts!«
    »Ich aber«, antwortete Feldberg ruhig. »Nur, im Moment ist das nebensächlich. Unser Hauptproblem ist: Wenn wir nicht bis übermorgen Kapital beschaffen, werden wir abgewickelt.«
    Helene spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde und ihr Bewusstsein sich aufzulösen schien. Zum letzten Mal hatte sie dieses Gefühl gehabt, als Johann sie mit Keitels Vorwürfen konfrontiert hatte. Der Widerspruch, äußerlich ungerührt zu bleiben, während alle innere Festigkeit unter unaussprechlicher Scham zu zerfallen schien, wäre nur durch Verschwinden auszugleichen. Aber das war nicht möglich.
    Die Amseln versteckten sich im Netzwerk der Baumkrone. Sie spielten. Es wirkte, als könne es immer so weitergehen, bis der Frühling endlich kommen und Blätter bringen würde. Aber plötzlich flog eine der Amseln auf, die anderen beiden folgten ihr. Dann waren sie fort.
    »Helene?«
    Sie antwortete nicht. Feldbergs kaltschnäuzige Eigensinnigkeit verschlug ihr die Sprache.
    »Helene?«
    »Ja.« Fieberhaft dachte sie nach. Sie musste jetzt sorgfältig ihre Optionen prüfen. Sie stellte fest, dass sie wieder aus dem Fenster sah, statt Optionen zu prüfen. Sie dachte an den Notar, der bald kommen würde. Der ihnen die Nachricht überbringen würde. Johann würde alles an Kunsthäuser vererben, an Stiftungen, seinen Kindern. Aber nicht ihr. Und wenn, dann würde sie das Erbe ausschlagen.
    »Hat die Bank noch irgendwelche Reserven?«, fragte sie.
    »Wie ich schon sagte: Es gehen keine Zahlungen mehr rein. Und raus auch nicht.«
    »Ja, ich weiß. Ich meine …«
    »Wir bekommen einen Insolvenzverwalter. Alles wird über ihn laufen.«
    »Ja. Ich verstehe. Aber wir können etwas tun.«
    »Ich sehe im Moment nicht …«
    »Wir verkaufen die Sammlung. Hörst du? Die Kunstsammlung.«
    »Das wird die Bank nicht retten.«
    »Es wird Teile der Bank retten. Und die Stiftung.«
    »Helene …«
    »Wir haben mit der Stiftung immer noch Möglichkeiten. In unseren Fonds steckt genug Kapital. Zusammen mit dem Insolvenzverwalter können wir auch die Bank teilweise flüssighalten.«
    Feldberg sah sie an. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung, doch er war ungewöhnlich bleich. Dann legte er den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
    »Helene, Helene.«
    »Was soll das heißen?«
    »Wir können die Bilder nicht verkaufen.«
    »Natürlich können wir. Weswegen sollten wir nicht? Wegen Johann?«
    »Das wollte ich nicht sagen.«
    »Gut, dann nenn mir bitte einen vernünftigen Grund, warum wir die Sammlung nicht verkaufen sollten.«
    »Weil der Erlös die Haftungssumme nicht decken würde.«
    »Das ist Unsinn, und das weißt du. Die Bilder würden das Doppelte von dem bringen, was wir brauchen.«
    »Nicht, wenn wir sie alle auf einmal verkaufen. Und vor allem nicht so schnell, wie wir das Geld brauchen. Wir reden hier nicht nur von dem verschwundenen Geld, sondern von allen Posten, die wir nicht mehr glattstellen können, weil wir die Kapitaldeckung schon vorher nicht hatten. Und es geht hier auch nicht darum, eben noch ein paar Schulden zu begleichen, Helene, sondern darum, dass die Bank nicht mehr zu retten ist. Es geht längst nicht mehr nur um das Geld. Es ist nicht so, dass die Stiftung sauber dasteht.«
    »Was soll das heißen?«
    »Das soll heißen, dass auch die Stiftung

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