Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
ein Auto, bei dem die Bremsen nicht mehr funktionierten.
»Wenn mich nicht alles täuscht, hast du ihr von unseren, unseren – erotischen Problemen erzählt! Demnächst sitzt Mutti noch auf unserer Bettkante, was? Damit sie sich persönlich davon überzeugen kann, ob ich alles richtig mache!«
Noch nie hatte Anne dermaßen aufbegehrt. Jahrelang hatte sie alles in sich reingefressen, gute Miene zum fiesen Spiel gemacht. Aber jetzt war Schluss.
»Du bist geschmacklos!«, rief Joachim. »Wer hier ein erotisches Problem hat, bist ja wohl du!«
»Nicht streiten!« Betroffen fuhren sie herum. Lars stand vor ihnen, ein kleiner fünfjähriger Junge, der wie jedes Kind der Welt wollte, dass sich seine Eltern liebhatten.
»Wir streiten nicht«, sagte Anne, obwohl das nicht stimmte. Sie hockte sich hin und nahm Lars in den Arm. »Alles gut, wirklich.«
In seinen Augen standen Tränen. »Vertragt ihr euch wieder?«
»Natürlich«, flüsterte Anne, erschrocken darüber, ihren Liebling derart in Angst und Schrecken versetzt zu haben.
»Dann müsst ihr euch aber die Hand geben«, schniefte Lars. »Sonst gilt das nicht.«
Innerlich verfluchte Anne den pädagogisch wertvollen Kindergarten, in dem man den Kleinen solche großmütigen Gesten beibrachte. Ihr Zorn war noch nicht verraucht.
»Hand geben!«, insistierte Lars.
Leicht schwankend richtete Anne sich auf. Joachim fixierte sie mit einem polarkalten Blick. Eiszeit, sagte dieser Blick. Auf Tauwetter kannst du lange warten. Anne hatte etwas getan, was in seinem Universum unverzeihlich war: Sie hatte seine Mutter kritisiert. Die Königinmutter persönlich.
Es war verletzend, wie Joachim sich aufführte. Aber Anne durfte Lars nicht enttäuschen. Halbherzig streckte sie ihre Hand in Joachims Richtung. Ohne ihn anzusehen. Er berührte sie, zog seine Hand aber so schnell wieder weg, als habe er in ein Säurebad gegriffen.
»Jetzt ein Kuss!«, forderte Lars. Und das, obwohl er Küssen »eklig« fand. Er musste wirklich schwer verunsichert sein.
»Später«, sagte Joachim. »Mami muss jetzt das Abendessen kochen.«
Auch eine Methode, die große Versöhnungsarie abzuwürgen.
Ohne ein Wort ging Anne in die Küche und holte eine Packung Nudeln aus dem Schrank. Während sie die Tomatensauce anrührte, liefen ihr Tränen über die Wangen. Aus der Missstimmung war pure Feindseligkeit geworden. Wie konnte Joachim nur behaupten, sie allein habe Schuld daran, dass es im Bett nicht klappte? Am liebsten hätte sie ihm erzählt, dass sie am Nachmittag von Mr. Universum angeflirtet worden war.
Wenig später saßen sie am Tisch, schweigend. Nur Lars erzählte aufgeregt vom bevorstehenden Ausflug in den Zoo. Vonden Löwenbabys und Pinguinküken, die es da zu sehen gab. Anne aß nichts, ihr war der Appetit vergangen. Vor allem auf das Date im Schlafzimmer.
***
Der Montagmorgen begann mit der üblichen Hektik: Lars wecken, Kaffee kochen, Butterbrote schmieren. Noch immer wechselte Joachim kein Wort mit Anne. Die Eiszeit hielt an, ein Temperaturanstieg war nicht in Sicht.
Sie war früh ins Bett gegangen. Er dagegen hatte noch stundenlang an seinem Laptop ausgeharrt, vermutlich die Zukunft im Eigenheim geplant. Irgendwann in der Nacht war Anne davon aufgewacht, dass er sich neben sie gerollt hatte, kommentarlos und auf Sicherheitsabstand bedacht.
Danach hatte sie nicht mehr einschlafen können. Unruhig hatte sie sich hin und her gewälzt, von dem Gedanken gequält, dass sie gerade ihre Ehe an die Wand fuhr. Dabei war doch gar nichts Weltbewegendes passiert. Ein Streit, gut, aber so etwas gehörte doch dazu, war doch normal. Völlig unnormal war jedoch die Unversöhnlichkeit, die Joachim an den Tag legte.
Sie beobachtete ihn verstohlen, als sie sich die Zähne putzte. Mit der Präzision einer Maschine duschte er, rasierte sich, zog sich an. Stumm wie ein Fisch, beleidigt wie eine Leberwurst. Erwartete er etwa eine Entschuldigung? Merkte er denn nicht, was für eine Qual es für Anne bedeutete, jeden Sonntag die Attacken ihrer Schwiegermutter über sich ergehen zu lassen? Nie verteidigte Joachim sie. Es war einfach ungerecht.
In der Küche wiederholte sich das Spiel. Joachim, der unnahbare Schweiger, trank seinen Kaffee im Stehen, überflogdie Morgenzeitung, verzog keine Miene. Bereits um halb acht verließ er grußlos die Wohnung.
Wie ein Häuflein Elend blieb Anne zurück. Noch nie war Joachim ohne einen Abschiedskuss gegangen. Noch nie hatte er sie derart spüren lassen, dass sie
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