Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
ihre Beobachterposition an der Wand zurück. Klaus von Bernstorff! Nein, man konnte niemanden wirklich kennen. Überall taten sich Abgründe auf. Aus einigem Abstand sah sie zu, wie er etwas schwerfällig weiterging und eine junge Frau in einem mehr als offenherzigen Lederensemble ansprach. Wenn das Joachim wüsste! Und Dr. Huber! Oder waren sie etwa eingeweiht?
Anne schaute zur Balustrade hoch. Die Stelle, an der Ramon gestanden hatte, war leer. Das Orchester fing wieder an zu spielen, einen langsamen, klagenden Tango. Die Geigen schluchzten, ein Bandoneon stimmte eine klagende Melodie an.
»Und?«, fragte Magnus, der unbemerkt neben Anne getreten war. »Ist das nicht ein grandioses Schauspiel?«
»Ich würde sagen, ein unwürdiges Schauspiel«, erwiderte Anne schroff. »Dieser Ramon hat ja wohl mehr als eine Schraube locker. Und einen schweren Grandiositätskomplex. Für wen hält er sich?«
Magnus lächelte dünn. »Du hast es noch nicht verstanden. Aber du kommst schon noch drauf.«
Das glaubst auch nur du, dachte Anne wütend. Trotz ihrer mehr als leichten Kleidung brach ihr der Schweiß aus. Arme Tess. Merkte sie denn nicht, dass man sie hier zu einem Lustobjekt degradierte? Mittlerweile bewegten sich die Gäste schneller, und die Klapse, die sie austeilten, wurden härter. Einige hatten Gummiknüppel und Rohrstöcke in der Hand.So erregend Fesselspiele sein mochten, es mussten Spiele bleiben. Doch diese verdammte Zeremonie war alles andere als ein Spiel.
Auf einmal stockte die Prozession. Die Gäste wichen zurück. Im Vollbesitz seiner eingebildeten Macht stolzierte Ramon in die Mitte und blieb hinter Tess stehen. In seiner rechten Hand schwang er eine Peitsche.
»Wollen wir sie in unseren Zirkel aufnehmen?«, rief er.
»Ja!«, erscholl es vielstimmig zurück.
»Soll sie ihren Gehorsam unter Beweis stellen?«
»Ja!«, johlte die Menge.
»Dann werde ich sie heute Abend vor aller Augen zur Sklavin erziehen!«
Wieder brach Applaus und Jubel los, während Ramon seine Peitsche hoch über den Kopf hob. Anne hatte genug gesehen. Sie zitterte am ganzen Körper. Ob Marc sein Versprechen halten und kommen würde? Ihre Stimme versagte fast, als sie sich an den nächstbesten Diener wandte.
»Wo, bitte, geht’s denn hier raus?«
Mit unbeweglicher Miene zeigte er auf eine Flügeltür, die unter der Balustrade lag. Aber das wäre zu auffällig gewesen.
»Gibt es auch eine Abkürzung? Bitte, bitte ich muss ganz schnell weg.«
Annes flehende Stimme schien den Diener zu erweichen. Er war ein alter, ergrauter Mann und sah ohnehin nicht so aus, als würde sein Job ihm Spaß machen. Was er von dieser exaltierten Gesellschaft hielt, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben: gar nichts.
»Ich führe Sie«, flüsterte er und öffnete eine Tapetentür, die Anne bisher nicht bemerkt hatte. »Kommen Sie.«
Im Zickzack ging es um ein paar Ecken einen engen, dunklen Flur entlang, dann stand Anne in der Eingangshalle. Jetzt erst merkte sie, dass sie ihren Mantel vergessen hatte. Verflixt! Da zeigte sie Marc die ganze Zeit die kalte Schulter und sprang jetzt halbnackt durch die Gegend. Ging’s noch krasser?
Der Diener wollte schon in den Ballsaal zurückkehren, aber Anne hielt ihn zurück. »Es – es kommt noch ein Gast.«
Misstrauisch sah er zum geschlossenen Eingangsportal. »Hat dieser Gast auch eine Einladung?«
Anne nahm allen Mut zusammen. » Ich bin die Einladung. Es ist wichtig! Lassen Sie ihn rein! Bitte!«
Sichtlich zwischen seinen Anweisungen und Annes eindringlicher Bitte hin und hergerissen, kratzte er sich am Ohr. »Hm. Ich weiß nicht. Das gibt bestimmt Ärger.«
»Hören Sie zu«, sagte Anne und machte eine Kopfbewegung in Richtung Ballsaal. »Da drinnen ist meine Freundin. Sie ist eine liebenswerte, warmherzige Frau, aber leider hat sie sich hoffnungslos in etwas verrannt, was sie nicht mehr kontrollieren kann. Ramon, oder wie auch immer dieser ausgetickte Typ mit der Peitsche heißt, wird ihr was antun. Was Schlimmes! Das dürfen Sie nicht zulassen!«
»Ist ja schon gut«, brummte der Mann.
Er zog eine Chipkarte aus seiner Livree und ging auf das Portal zu. Dann steckte er die Karte in einen Metallkasten, der in die Wand eingelassen war. Mit wenigen Schritten war Anne bei ihm.
»Danke, dass Sie mir helfen!«
Wie von Geisterhand öffneten sich die gewaltigen Flügeltüren. Dahinter stand Marc. Ein Tiger in Anzug, Hemd undKrawatte. Ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, wenn auch ein sehr,
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