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Gib's mir

Gib's mir

Titel: Gib's mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Lloyd
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ersten Sonnentagen dieses Jahres. Ich zeigte ihm mein sandfarbenes, nicht wirklich lockiges Haar, das von einem Band zusammengehalten wurde. Wenn ich mich, ab und zu und nur ein ganz kleines bisschen, zur Seite drehte, zeigte ich ihm ein paar lose Strähnen, die wie unabsichtlich über meine Wange herabfielen. Vielleicht würde sich dazu das Licht in dem Stein brechen, der in meinem hübschen Nasenflügel glitzerte. Nein, eigentlich war er ja viel zu weit weg für solche Details.
    Hätte Martin mir nicht gegenübergesessen, dann hätte ich mich wahrscheinlich ein Stück weiter umgedreht und meinen Fuß auf den Heizkörper gestützt. In meinem knielangen Jeansrock hätte ich ihm dann vielleicht ein ganz kleines Stückchen Bein gezeigt – vollkommen unbeabsichtigt natürlich –, und möglicherweise würde er sich fragen, wer sonst noch in meiner Wohnung wäre. Mit wem lacht und plaudert sie da so? Wer ist das, der dort mitten am helllichten Nachmittag mit ihr Wein trinkt?
    Aber man kann schlecht mit einem Menschen flirten, wenn tatsächlich zwei einen ansehen. Und ich wusste, dass er mich beobachtete, ich konnte seinen Blick fühlen, so deutlich wie die Wärme der Sonne, die meine Haut streichelte.
    «Ich hab dich vermisst», erklärte Martin und zerstörte damit die bequeme Unverbindlichkeit unserer Unterhaltung. Sein nettes, lustiges Gesicht ließ plötzlich sein sonstiges unbändiges Strahlen vermissen.
    «Ich sehe dich doch dauernd», blaffte ich und versuchte damit seine Ernsthaftigkeit herunterzuspielen. «Erst vor zwei Tagen haben wir uns gesehen und davor erst –»
    «Ja, aber wir sind immer mit anderen Leuten zusammen», antwortete er leise und wehmütig. «Das war sonst nie so.» Er hob seine Brauen, wobei er mich durchdringend und mit schmerzerfüllter Trauer im Blick ansah. «Wir haben plötzlich Angst voreinander, Beth. Das finde ich schrecklich.»
    Einen Moment fühlte sich das Schweigen zwischen uns merkwürdig und gespannt an. Ich wünschte, er wäre nicht so schrecklich nett. Wenn er wenigstens mal das Arschloch raushängen lassen würde, dann erschiene er mir vielleicht interessanter. Oder wir könnten uns tierisch zoffen, uns verletzen bis auf die Knochen und die Sache dann auf sich beruhen lassen. Aber er war eben Martin: lieb und freundlich und unerträglich großmütig.
    Entschlossen stellte ich mein Weinglas ab und stand auf, öffnete meine Arme, als sei er ein in Tränen aufgelöstes Kind.
    «Na, komm», sagte ich mit sanftem Lächeln.
    Er kam näher, und wir umarmten uns – eine ausladende Teddybärenumarmung –, während wir einander hin und her wiegten. Lange Zeit verharrten wir so, sagten nichts außer «Oh, Beth» und «Oh, Martin».
    Entschuldigungen und reuevolle Beteuerungen waren nutzlos, wie wir nur allzu gut wussten. Vorbei ist vorbei, und «wenn nur» ist ein schlechtes Trostpflaster. Also ergriff ich, als es Zeit war, wieder etwas zu sagen, die Initiative, wuschelte ihm durch die Haare und versicherte ihm, dass schon alles gut werden würde. Irgendwann wäre bestimmt wieder alles, wie es einmal war. Irgendwann. Das kann man nicht erzwingen, Schätzchen. Hab Geduld.
    Und auch wenn ich mich in diesem Moment genauso und mit Herz und Seele nach dieser Zukunft sehnte, konnte ich, trotz unserer innigen Umarmung, nicht meine Gedanken an den gesichtslosen Mann verdrängen, der uns beobachtete.
    Martin ahnte nicht, dass es ihn gab, aber ich wusste es. Mein Blick war unmerklich auf ihn ausgerichtet, und ich hatte ihn entdeckt, wie er diesmal etwas weiter hinten in seinem Zimmer und ein Stückchen weiter auf der Seite stand – aber mich trotzdem eindringlich beobachtete.
    Mich begeisterte es unglaublich, mir vorzustellen, er könnte denken, Martin und ich wären ein Liebespaar, das es gleich miteinander treiben würde. Dabei hätte ich mich wohl besser ein wenig mehr auf Martin konzentriert. Dann hätte ich vielleicht bemerkt, dass er sich bemühte, unsere leidenschaftslose Kuschelumarmung in eine andere Richtung zu bewegen. Hätte möglicherweise festgestellt, wie sich der Klang seiner Stimme veränderte, hätte gehört, dass sein spielerischer «Ich liebe dich»-«Ich liebe dich»-«Ich liebe dich»-Rap schließlich zu einem leisen «O Gott, wie ich dich begehre» verschmolz.
    Seine Hand, begehrlich und fordernd, machte sich an meinem Rock zu schaffen, schob ihn nach oben. Dann fuhr sie mit einem Mal unter den Saum, und er streichelte und knetete mich kurz oberhalb meines

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