Gib's mir
er eigentlich wissen. Er wollte mich auf die Folter spannen, spielte mit mir.
«Da hab ich was vor», erklärte ich knapp.
Es entstand eine Pause, dann sagte er: «Ich sag dir was, lass uns das mit der Zeit vergessen. Ich werde dich einfach anrufen. Wenn du da bist, bist du da. Wenn nicht, dann nicht.»
Meine spontane Reaktion war «Kommt überhaupt nicht in Frage». Hier ging’s doch nicht um den Anruf vor einem Anstandsbesuch. Es ging ums Ficken. Da wollte ich keinen Überraschungsangriff. Ich wollte voll bewaffnet und gefährlich antreten, duftend und sexy. Ich kann nicht einfach meinen Reißverschluss aufmachen, und los geht’s. Man stelle sich vor, er würde gerade in einem vollkommen unsexy wirkenden Moment anrufen, beispielsweise wenn ich gerade den steilen Weg vom Supermarkt heraufgekommen wäre? Oder wenn ich gerade eine Gesichtsmaske aufgelegt hätte? Oder wenn gerade andere Leute da wären?
Sein Vorschlag würde mich dazu verdammen, weiterhin mit «Was-wäre-Wenns» zu leben. Was wäre, wenn er mich jetzt im nächsten Moment anrufen würde? Oder im nächsten? Oder im nächsten?
Aber genauso lebte ich ja eigentlich ohnehin schon; und davon abgesehen, könnte ich wahrscheinlich doch jederzeit meinen Reißverschluss öffnen und sofort loslegen. Meine Lust köchelte immer am Siedepunkt. Es fehlte nicht viel, und sie würde sprudelnd kochen.
Also sollte ich das wahrscheinlich ausnutzen und all diese «Was-wäre-Wenns» einfach in die Realität umsetzen.
Tu’s, Beth, sagte ich zu mir selbst. Leb gefährlich. Und sowieso, wenn er sich zu einer unpassenden Zeit meldet, musst du ja nicht an die Tür gehen.
«Ich werde dein Fenster im Blick behalten», meinte er. «Wenn es so aussieht, als hättest du Besuch oder so –»
«Gut», sagte ich so locker wie möglich. «Ruf mich einfach irgendwann an.»
«Super. Werd ich tun. Auf jeden Fall innerhalb der nächsten vierzehn Tage.»
Ich wollte ihn anschreien: Innerhalb der nächsten vier Minuten! Aber stattdessen sagte ich: «Gut. Prima. Wir sehn uns, wenn wir uns sehn.»
Als wir aufgelegt hatten, masturbierte ich zu allerhand «Was-wäre-Wenns».
Man kann als Mädchen Erwartung nur bis zu einem gewissen Grad aushalten. Und sechs Tage sind eine lange Zeit, wenn es um Sex geht, dem man erwartungsvoll entgegensieht, besonders wenn man nicht weiß, dass es sechs Tage dauern wird, sondern man immer denkt, es könnte jeden Moment so weit sein.
Aber diese sechs Tage waren: sechs Tage nervöse, geile Anspannung; sechs Tage, an denen ich mich fragte, ob ich die Rötung riskieren sollte, meine Beine doch lieber nochmal schnell zu rasieren; sechs Tage auf Abruf, den Launen von Ilya Travis vollständig ausgeliefert.
Meine Zeit gehörte ihm, nicht mehr mir.
Jeden Morgen stand ich wie blöd vor meinem Kleiderschrank, wählte mit großer Entschlossenheit meine Kleidung aus: Dies ist sexy; dies hier bietet leichten Zugang; diese Farbe steht mir besonders gut. Und meine Unterwäsche war vom Feinsten; nicht ein einziges Mal ist es mir passiert, dass ich dachte: Ach, egal wenn BH und Höschen mal nicht zusammenpassen.
Das Warten war unerträglich. Ich konnte es drinnen kaum aushalten. Auf nichts konnte ich mich richtig konzentrieren. Bei jedem Sandwich, das ich mir machte, stellte ich mir die Frage: Was wäre, wenn er sich jetzt melden würde, und ich hätte den Mund voll Käse und saure Gurken? Und deshalb geriet mein Abendessen jetzt immer irgendwie sexy.
Aber auch draußen zu sein, fand ich schrecklich, für den Fall, dass es – drrrring – gerade dann passieren sollte, wenn ich im Aufnahmestudio vergraben war oder mit Postern unterm Arm durch die Stadt trabte oder einfach nur in der Kneipe saß und ein bisschen Spaß haben wollte.
Ich beobachtete weiterhin sein Fenster. Manchmal sah ich, wie sich dort etwas bewegte; dann wieder sah ich nichts. Die Bewegung setzte mich unter Strom, allerdings war es keineswegs so, dass die Stille mich beruhigte. Sie musste ja nicht bedeuten, dass er nicht da war. Ich wünschte, ich hätte seine Eingangstür im Blick, dann hätte ich sein Kommen und Gehen verfolgen können. Aber sein Haus liegt in einem Garten, der von einer niedrigen Mauer umgeben ist und eher steinig als grün ist – und ausgerechnet an der Seite stehen ein paar hohe Sträucher. Ich konnte absolut nichts sehen.
Martin war von seinem Bruder zurückgekehrt und schaute einmal herein. Ich war wütend.
«Warum zum Teufel kannst du nicht anrufen, bevor du
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