Gib's mir
vorbeikommst?», schrie ich ihn an, als er in meine Wohnung geschlendert kam.
«Seit wann muss man sich bei dir vorher einen Termin holen?», antwortete er und hob fragend die Augenbrauen.
«Seit jetzt», blaffte ich. «Seit ich hier wohne … und meine Privatsphäre zu schätzen gelernt habe.»
«Ich kam nur zufällig grad vorbei», erklärte Martin, deutlich schockiert von meinem Ausbruch.
Das stimmte nicht. Ich lebe nicht in jenem Teil der Stadt, wo man zufällig mal vorbeikommt. Es ist eine reine Wohngegend.
Ich sagte ihm, er hätte gerade einen schlechten Zeitpunkt erwischt.
«Ich hab dir was mitgebracht von meiner Reise», sagte er und warf eine Papiertüte mit einer Schachtel drin aufs Sofa. «Fudge. Dieselbe Sorte, die man hier am Palace Pier bekommt. Außer dass Devon draufsteht.»
Ich liebe Fudge. Das war emotionale Erpressung.
«Zufällig?», fragte ich sarkastisch nach. «Mit Fudge?»
Er stieß einen enttäuschten Seufzer aus.
Ich erklärte ihm, dass ich nicht in der Stimmung sei zu reden und abgesehen davon auch gerade dabei, mich zum Ausgehen fertig zu machen.
«Mit wem?», wollte er wissen.
«Tom und Clare», sagte ich hinterhältig. «Wir gehen in den Arts Club, um ein paar Sachen zu bereden, und nein, du kannst nicht mitkommen.»
«Tom und Clare! Tom und Clare!», äffte er mich nach, sauer und aufsässig. «Müssen die beiden eigentlich immer alles gemeinsam machen, verdammt?»
«Sie sind eben verliebt», zischte ich. «Hast du ’n Problem damit?»
«Pah», schnauzte er zurück. «Ich scheiß auf die Liebe.»
«Ich sehe, die Trennung hat dir gutgetan», knurrte ich, und er warf mir einen wütenden Blick zu, bevor er ankündigte, er würde sich dann demnächst mal einen Termin bei mir holen, wenn ich es möglich machen könnte, ihn noch irgendwo reinzuquetschen. Dann machte er sich eingeschnappt wieder auf den Weg.
Das edelste meiner Gefühle in diesem Moment war Erleichterung.
Ilya rief an einem sehr, sehr heißen Tag an. Ich hätte ahnen können, dass er das tun würde, bei allem, was ich ihm darüber erzählt hatte, wie die Hitze mich scharfmacht.
Ich hatte den Nachmittag unten am Strand verbracht, mit Jenny und Mike und einem Kumpel von Mike, der Luke heißt und den wir auf dem Weg getroffen hatten. Dies war mein erstes Zusammentreffen mit Luke – Luke, den ich später dazu verführen würde, mein gelegentlicher und für mich viel zu junger Liebhaber zu werden.
Ich hatte eigentlich gar nicht vorgehabt, zum Strand zu gehen, aber wir drei, Jen, Mike und ich, hatten uns im Büro getroffen und über neue Werbeaktionen für KörperSprache gesprochen. Ich beschäftige Jen und Mike, die beide mal auf der Kunstschule waren, nach Bedarf und gegen Bar-auf-Kralle. Aber an diesem Tag lief es irgendwie nicht, und deshalb einigten wir uns: «Knicken wir das Ganze für heute. Es ist einfach zu heiß. Lasst uns an den Strand gehen.»
Und das taten wir. Wir schlossen die Tür hinter uns ab und bummelten die Queens Road hinunter, auf der sich eine frisch ausgespuckte Zugladung Menschen drängte, die alle wie wir zum Strand wollten. Alles schnatterte, Handtücher und Badematten lugten aus den Taschen, und alle wollten so schnell wie möglich jenes strahlend blaue Meer erreichen, das am Ende der Straße so verlockend unter dem strahlend blauen Himmel lag.
Für uns hartgesottene Bewohner von Brighton ist die Queens Road eine ganz alltägliche Straße; wir wandern an ihren Läden und Büros auch vorbei, wenn mieses Wetter ist und es pisst, wenn der Himmel grau, das Meer aufgewühlt und schlammig und der Horizont überhaupt nicht zu sehen ist.
Aber diesen Besuchern an heißen Sommertagen muss die Straße buchstäblich zuschreien: «Gehen Sie zum Strand. Begeben Sie sich direkt dorthin. Gehen Sie nicht über Los. Ziehen Sie nicht zweihundert Pfund ein.» Sie wird gesäumt von diesen Straßenlaternen, die man nur in Urlaubsorten sieht – die höchsten Straßenlaternen der Welt, weiße Glaskugeln an kunstvoll gearbeiteten schwarzen Auslegern. Die Straße, voll mit Autos, senkt sich über einige Hügel hinab zum Meer, wie eine sanfte Riesenachterbahn, und dann, ganz am Ende, eingeklemmt zwischen den hohen Gebäuden, kann man einen Streifen des Ärmelkanals erkennen, glitzernd blau und in der Hitze flirrend: Mama! Ich kann das Meer sehn!
Mitten in all der Aufregung ließen wir uns zur West Street hinuntertreiben, an zusammengewürfelten Gebäuden aller Arten und architektonischen Stilrichtungen
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