Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
auf der der Rucksack am deutlichsten zu erkennen war.
»Das ist sehr unscharf«, murmelte er. »Wer immer das hier für dich entschachtelt hat, hat ziemlich großen Mist gebaut.«
»Die Leute hatten kaum Zeit.«
»Ich muss die Zwischensprünge aus dem Bild rausbekommen, sonst können wir vor lauter Flimmern nichts mehr sehen.« O’Briens Finger huschten über die Tastatur. Das Bild im Hauptfenster verblasste, wurde größer.
»Was sind das für Balken über dem Bild?«, fragte Gideon.
»Das ist ein Zwei-zu-drei-Pulldown. Ich versuche, das auszugleichen.« Wieder tippte er eine blitzschnelle Folge von Befehlen ein. Das Bild wurde heller, stabilisierte sich. »Schon besser. Ich will mal eine Maske zur Unschärferegulierung drüberlegen.« O’Brien klickte sich mit der Maus durch eine Reihe von Untermenüs.
»Das ist ein Abzeichen mit einem Leitspruch«, sagte Gideon und musterte es.
O’Brien tippte und klickte, stellte das Bild noch schärfer.
»Pectus Est Quod Disertos Facit«
, las Gideon vom Bildschirm ab.
»Was ist das? Latein?«
»Der Geist ist es, der den Redner macht«, sagte Gideon.
»Was für ein Schwachsinn«, meinte O’Brien und schüttelte betrübt den Kopf, weil der Satz so irre doof war. »Wer hat das denn gesagt?«
»Der Satz stammt aus den
Reden
des Quintilian. Aber das ist einfach nur pompös und so inhaltsleer, dass es auch als Leitspruch für eine Privatschule dienen könnte.« Er stand auf. »Danke, Tom.«
»Hey. Wie wär’s mit noch mal tausend Kröten?«
»Lass dir dein Sandwich schmecken. Ich melde mich.« Er blieb stehen, kurz bevor er zur Tür hinausging. »Von dem Arzt hast du vermutlich noch nichts gehört?«
»Oh, doch. Hab ich. Ich wollte es dir gerade erzählen.«
»Und?«
»Ich hoffe, die Röntgenbilder stammen nicht wirklich von einem Freund von dir.«
Gideon sah ihn an. »Warum sagst du das?«
»Weil der Typ laut Aussage des Doc
im Arsch
ist.«
41
Gideon rutschte auf einen Vinyl-Barhocker in einem 24-Stunden-Diner und bestellte Kaffee, pochierte Eier, Bratkartoffeln, Toast und Marmelade. Die Kellnerin, die wegen ihrer vollschlanken Figur fast aus der 1950er-Uniform platzte, nahm seine Bestellung auf und rief sie nach hinten in die Küche.
»Sie sollten in der Oper singen«, sagte er geistesabwesend.
Sie drehte sich zu ihm um und strahlte ihn an. »Das tue ich auch.«
Wer’s glaubt
… Er trank seinen Kaffee und fühlte sich innerlich taub.
Ich hoffe, die Röntgenbilder stammen nicht wirklich von einem Freund von dir
. Vielleicht hatte sich O’Briens Arzt ja geirrt. Es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas vorkam. Doch es war die dritte Meinung.
Wäre er glücklicher, wenn er es nicht wüsste? Wenn er sein letztes Lebensjahr in seliger Unwissenheit genießen würde? Aber nein – das hier änderte alles. Gideon verspürte ein seltsames Gefühl der Losgelöstheit, als befände er sich bereits außerhalb seines Körpers, weit weg von der Welt der Lebenden. Plötzlich, ganz plötzlich hatten sich seine Prioritäten verschoben. Es hatte keinen Sinn mehr, jemanden kennenzulernen, eine Familie zu gründen. Keinen Sinn, die Karriere voranzutreiben. Keinen Sinn, nicht zu rauchen oder sich um den Cholesterinspiegel zu sorgen. Es hatte, ehrlich gesagt, nichts mehr Sinn.
Er trank noch einen Schluck und versuchte, das seltsame Gefühl kraftloser Fassungslosigkeit abzuschütteln.
Eins nach dem anderen.
Es würde noch jede Menge Gelegenheiten geben, darüber nachzudenken. Im Augenblick musste er einen Auftrag zu Ende führen.
Bewusst lenkte er seine Gedanken zurück zur Throckmorton Academy. Er hatte recht gehabt, was den Leitspruch der Privatschule betraf. Bei der Durchsicht des Internetauftritts der Schule war er auf einige wichtige, wenn auch unbeabsichtigte Informationen gestoßen. Es handelte sich um eine sehr exklusive Schule, höchst zurückhaltend, was Angaben über ihre Schüler und Lehrer anging, und versiert im Umgang mit solchen Informationen. Aber jede Person und jede Organisation hatte eine Schwachstelle, und die der Throckmorton Academy kam auf der Website überdeutlich zum Ausdruck: übermäßiges Selbstbewusstsein.
Pectus Est Quod Disertos Facit
. Ja, genau.
Die Frage war, mit welchem Vorgehen sich diese Schwachstelle ausnutzen ließ. Die Leute dort waren keine Dummköpfe. Er konnte da schließlich nicht als hypererfolgreicher, wichtigtuerischer milliardenschwerer Hedgefondsmanager reinstürmen, der seinen Sohn anmelden wollte. Bestimmt hatten
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