Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
ab, so wie er ihr es gesagt hatte.
»Entschuldigen Sie, Miss?«, sagte er im Näherkommen.
Sie drehte sich zu ihm um und erwiderte in einem Ton so schneidend wie Trockeneis: »Hau ab. Ich warte auf jemanden.«
»Ja, aber verstehen Sie doch, das ist ja der Punkt,
ich
bin derjenige …«
Sie spuckte ihn förmlich an. »Hau ab. Sofort. Oder ich trete dir derart fest in die Eier, dass deine ganze Familie unfruchtbar wird.«
Gideon lachte, hocherfreut, wie gut seine Täuschung funktioniert hatte. »Ich bin’s. Gideon. Hübsche Verkleidung, nicht wahr?«
Sie stutzte und beugte sich näher an ihn heran. »Gott, das ist ja noch übler als beim letzten Mal.« Sie ließ die Zigarette fallen und drückte sie wütend mit der Hacke auf dem Bürgersteig aus. »Du hast vielleicht Nerven – mich einfach so anzurufen, nachdem du dich derart aufgeführt hast.«
»Ich wohne im Waldorf«, sagte er, hakte sie unter und zog sie mit sich die Straße entlang. »Hör zu.« Er drückte ihr ein Bündel Geldscheine in die Hand. »Ich möchte, dass du im Waldorf ein Zimmer für Mr. und Mrs. Tell reservierst. Geh aufs Zimmer, leg dich ins Bett, schalt das Licht aus, aber lass die Tür unverschlossen. In einer halben Stunde bin ich bei dir.«
»Hör zu, du …«
Aber er ließ sie los und ging die 51. Straße hinunter, betrat das Metropolitan, legte in einem der oberen Flure seine Verkleidung ab, verließ das Hotel und betrat dann wieder als Gideon Crew das Waldorf. Er begab sich in sein Zimmer, schlüpfte erneut in sein Kostüm, erschien am Empfangstresen und stellte sich als Mr. Tell vor, der seine Frau treffen wolle. Dann schritt er durch die leeren Flure zum Zimmer, das Orchid reserviert hatte, schob vorsichtig die Tür auf, schloss und verschloss sie.
Sie setzte sich im Bett auf, so dass die Bettdecke teilweise von ihrem nackten Leib rutschte. »Ich lass mir deinen Scheiß nicht mehr länger bieten. Das kann ich dir flüstern.«
Er setzte sich neben sie aufs Bett und nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Ich weiß, ich war ein Arsch, aber hab etwas Geduld mit mir, nur noch etwas länger. Morgen verkleiden wir uns als Mr. und Mrs. Kleinbürger und versuchen, unseren brillanten Sohn in der Throckmorton Academy anzumelden. Es wird dir Spaß machen, garantiert. Außerdem gibt’s gutes Geld dafür.«
Sie starrte ihn nur an. »Ich mag es nicht, wie du mich behandelst. Und ich bin mir sicher, dass das hier nichts mit dieser komischen Schauspielmethode, diesem Method Acting, zu tun hat – sondern du mich verscheißerst. Ich will endlich wissen, was hier wirklich abläuft.«
»Ich weiß, dass du das möchtest, aber jetzt müssen wir ein bisschen schlafen, wir haben morgen einen langen Tag vor uns.«
Sie blickte ihn von der Seite an. »Schlafen?« Sie legte die Arme um ihn und zog ihn aufs Bett herunter. »Wisch dir mal die dämliche Schminke aus dem Gesicht, dann zeige ich dir, was ich unter ›schlafen‹ verstehe.«
44
Nodding Crane saß vor der Saint Bartholomew’s Church, spielte auf seiner Resonatorgitarre, den Gitarrenkasten aufgeklappt vor sich, um etwas Kleingeld einzusammeln. Es war neun Uhr morgens, der Bürgersteig voller Banker und Börsenmakler auf dem Weg zur Arbeit, die an ihm vorbeieilten, ohne ihm auch nur einen flüchtigen Blick zu schenken.
I’m looking funny in my eyes
Er zupfte die Saiten und sang mit tiefer, rauher Stimme, einer Tonlage, die er in den vielen Jahren, in denen er Bukha White gelauscht hatte, geübt hatte. Nach seiner Fast-Panikattacke früher am heutigen Morgen, als Crew ihm beinahe entwischt wäre, war er innerlich wieder ruhig. Das mit den Zimmern und dem plötzlichen Auftauchen der Frau war irgendein Trick gewesen. Fast wäre er zum Narren gehalten worden. Aber nur fast. Schließlich hatte er Crew doch an seinem typischen ausschreitenden Gang erkannt.
And I believe I’m fixing to die
Crew war mit der Frau davongegangen, aber Nodding Crane hatte sich entschlossen, ihnen nicht zu folgen, denn er wusste ja, dass sie zurückkommen würden. Denn schon vor langer Zeit hatte er gelernt, dass es gefährlich und oft kontraproduktiv war, dem Opfer obsessiv zu folgen. Und auch nicht erforderlich. Jeder lebte nach Mustern, in Schleifen und Wiederholungen. Besser, als jemandem auf Schritt und Tritt zu folgen, war es, die Muster aufzudecken und die Wiederholungen vorwegzunehmen. Die Zeit der Verfolgung nahte, sobald das Muster durchbrochen wurde und das Opfer einen neuen Weg einschlug.
I’m looking
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