Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
sie diesen Typus bereits erlebt, viele Male. Sie würden immun dagegen sein. Auch konnte er sich nicht als Promi ausgeben, ob nun als falscher oder echter: Google hatte dieses Spiel beendet. Irgendetwas absolut Gegenteiliges würde erforderlich sein; etwas, das auf subtilere Weise mit den Hoffnungen, Annahmen und Vorurteilen dieser Leute spielte. Und während er darüber nachgrübelte, begann in seinem Kopf allmählich ein Plan Gestalt anzunehmen. Bedauerlicherweise würden zwei Personen vonnöten sein, um die Sache durchzuziehen. Mindy Jackson kam nicht in Frage; sie war nicht da und versuchte, ihren eigenen Spuren nachzugehen, und sie war auch nicht der richtige Typ. Nein, es müsste Orchid sein. Orchid wäre ideal. Er unterdrückte sein aufflackerndes schlechtes Gewissen, weil er sie nicht noch einmal ausnutzen wollte, fand aber, dass in diesem Fall der Zweck die Mittel heiligte. Und hatte sie denn nicht gesagt, er solle sie anrufen?
Ein Mann glitt auf den Barhocker neben ihm und legte eine gefaltete
Post
auf den Tresen. Es ging Gideon auf die Nerven, dass sich, zumal in einem leeren Diner um drei Uhr früh, irgendein Arsch direkt neben ihn setzte.
Die Kellnerin kam mit seinem Teller aus der Küche, stellte ihn ab und wandte sich zu dem Mann um. Er bestellte Kaffee und einen Kopenhagener.
Sie schenkte ihm den Becher voll, brachte den Kopenhagener und zog sich in die Küche zurück.
»Wie geht’s?«, sagte der Mann leise und schlug die Zeitung auf.
Gideon blickte verärgert zur anderen Seite und beschloss, den Kerl zu ignorieren.
»Ihnen muss das Geld fast ausgegangen sein«, sagte der Mann leise und studierte die Titelseite.
Gideon spürte, wie irgendetwas sein Bein berührte, blickte nach unten und sah, dass ihm der Kerl unter dem Tresen eine dicke Rolle Bargeld hinhielt. Noch ehe Gideon reagieren konnte, hatte ihm der Mann die Geldscheine in die Jacketttasche gesteckt, während er die ganze Zeit weiter in der Zeitung gelesen hatte. Als Gideon den Kopf hob, erkannte er den Mann wieder.
Garza. Eli Glinns rechte Hand bei EES .
Gideon war auf unangenehme Weise erschrocken und wütend zugleich. So viel also zu seiner Fähigkeit, unterhalb des Radars zu bleiben.
»Na endlich!«, sagte er und wandte sich dem Mann zu, plötzlich bissig, weil es ihm peinlich war, überrumpelt worden zu sein. »Ich hatte mich schon gefragt, wann Glinn endlich seinen Botenjungen losschickt.«
Garza runzelte die Stirn. Jetzt verlor er doch ein wenig von seiner Bierruhe. »Ist das Ihre Art, sich zu bedanken?«
»
Bedanken? Offensichtlich wisst ihr bei EES sehr viel mehr über die Lage und habt mich nicht in alles eingeweiht. Ich finde, ihr habt mich im Regen stehen lassen.«
Garza trank einen Schluck von seinem Kaffee, schob den Kopenhagener beiseite, erhob sich und legte ein paar Dollar auf den Tresen. »Sie machen das ganz gut – wenigstens bis jetzt. Ich an Ihrer Stelle würde mich allerdings nicht beschweren, sondern mir Sorgen darüber machen, dass wir Sie lokalisieren konnten. Wenn wir Sie finden können, kann Nodding Crane es auch.«
Der Mann ging wieder hinaus in die Nacht. Die Zeitung ließ er unaufgeschlagen auf dem Tresen liegen. Die Schlagzeile lautete:
Mord auf der Mott
Angreifer reißt Bewohner von Chinatown Luftröhre aus der Kehle
Darunter war ein Foto von Roger Marion abgebildet.
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Langsam und mühselig schleppte sich der Mann mit dem Namen Nodding Crane den Bürgersteig vor dem kleinen Esslokal entlang. Crew war immer noch drin, er redete mit der dicken Kellnerin. Der Mann, der ihm das Geld zugesteckt hatte, war gekommen und gegangen. Aber der interessierte ihn nicht. Crew interessierte ihn.
Nachdem er neben der Treppe eines verlassenen Brownstone-Hauses stehen geblieben war, ließ er sich darauf nieder, stellte die von einem schmuddeligen Papierbeutel umhüllte Bierdose neben sich und senkte den Kopf. Mehrere dicht nebeneinander stehende Mülltonnen, zur morgendlichen Abholung aufgereiht, warfen einen langen Schatten und verbargen sein Gesicht noch mehr. Eine Gruppe lärmender junger Leute überquerte an der Ecke Avenue C die Straße und ging lachend und johlend weiter hinaus in die Nacht. Dann herrschte wieder Stille.
Die rechte Hand in der Tasche seines alten Regenmantels, krümmte er die Finger, so dass die rasiermesserscharfen Fingerpicks leise aneinanderklickten. Er war im Gebrauch zahlreicher exotischer Waffen geschult worden – doppelhändige Säbel, Kehrbesen, Flöten, Spazierstöcke,
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