Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
gedacht, die Mappe mit Tylers Arbeiten hierzulassen.« Gideon streckte die Mappe mit den Unterlagen van Rensselaer entgegen, der sie mit ein ganz klein wenig Widerwillen betrachtete.
»Das wird dieses Mal nicht nötig sein.«
»Darf ich Ihnen wenigstens die Symphonie hierlassen?«
»Die … wie sagten Sie?«
»Die Symphonie. Tyler hat eine Symphonie komponiert.«
Langes Schweigen. »Wie alt ist Tyler, sagten Sie?«
»Sieben.«
»Und hatte er Hilfe, als er diese … Symphonie komponierte?«
»Um Himmels willen, nein!«, sagte Orchid, deren Raucherstimme in der gedämpften Atmosphäre des Büros widerhallte. »Was verstehen wir denn schon von klassischer Musik!« Es folgte ein Lachen.
Gideon verkniff sich ein Lächeln und zog die Partitur hervor. Nach kurzem Zögern nahm van Rensselaer sie entgegen.
»Er hat GarageBand verwendet«, sagte Gideon. »Klingt super, jede Menge Trompeten. Die CD ist auch hier drin. Die müssen Sie sich unbedingt mal anhören.«
Van Rensselaer blätterte in der ausgedruckten Symphonie. »Es hat ihm doch sicherlich jemand dabei geholfen.«
»Niemand. Wirklich. Wir wussten nicht einmal, dass er sie geschrieben hat.«
»Hm, keiner von Ihnen ist musikalisch?«
»Ich finde Lady Gaga klasse«, sagte Orchid und lachte nervös.
»Von wem hat … Tyler denn sein Interesse an Musik?«
»Keine Ahnung. Wir haben ihn adoptiert, wissen Sie, aus Korea.«
»Korea«, wiederholte van Rensselaer.
»Ja, genau. Einige unserer Freunde adoptierten damals Kinder aus Asien, und da haben wir uns gedacht, es wäre toll, na ja – wir können keine Kinder bekommen. Außerdem war es etwas, das wir mit unseren Freunden teilen konnten, Sie wissen schon, worüber man sich unterhalten konnte. Aber die Symphonie ist nicht das Einzige. Hier sind ein paar von Tylers Zeichnungen. Sie können sie behalten – es sind Kopien.«
Er zog die Zeichnungen aus der Mappe. Erstaunlich, was man im Internet so alles finden konnte. Zu jeder Zeichnung hatte er am unteren Rand eine kleine Unterschrift – TYLER CREW – hinzugefügt und dann alles kopiert.
Van Rensselaer nahm die Zeichnungen entgegen und betrachtete sie.
»Das da ist unser Hund. Tyler ist ganz vernarrt in ihn. Und das ist irgend so eine alte Kirche, die er in einem Buch gefunden hat.«
»Chartres«, murmelte van Rensselaer.
»Wie bitte?« Es war enorm schwierig gewesen, die richtigen Zeichnungen aus der riesigen Sammlung herauszusuchen, die im Internet zur Verfügung stand. Kindlichkeit und künstlerisches Genie mussten auf genau die richtige Art und Weise zusammenkommen.
»Die Zeichnungen sind ganz verblüffend«, sagte van Rensselaer leise und blätterte darin.
»Tyler ist etwas
Besonderes
«, wiederholte Orchid. »Er ist jetzt schon intelligenter als ich.« Sie steckte sich einen Streifen Kaugummi in den Mund und fing an zu kauen. »Auch einen?«
Van Rensselaer gab ihr keine Antwort. Er vertiefte sich in die Zeichnungen.
»Ach, damit ich’s nicht vergesse«, sagte Gideon. »Tyler ist auch ein ganz normaler Junge. Nicht einer von diesen eingebildeten Typen. Er sieht unheimlich gern
Family Guy
mit uns und findet die Serie zum Brüllen komisch. Besonders hat ihm die Folge gefallen, in der Peter betrunken ist und im Vorgarten die Hose herunterlässt, gerade als die Polizei vorbeifährt.«
Orchid lachte auf. »Das war eine der
besten
.«
»Family Guy?«
Ein Ausdruck des Entsetzens trat in van Rensselaers Miene.
»Wie auch immer, in der Mappe hier finden Sie einen Haufen von Tylers Sonetten, weitere Zeichnungen und noch einige musikalische Werke.«
»Alle von ihm?«
»Bei den Zeichnungen habe ich ihm geholfen«, sagte Gideon stolz. »Aber, na ja, in Musik, Literatur oder Malerei kennen wir uns schlecht aus. Sehen Sie, ich besitze eine Sportsbar. In Yonkers.«
Van Rensselaer blickte erst ihn, dann Orchid an.
»Er ist auch gut in Mathematik. Es ist mir allerdings ein Rätsel, wie zum Kuckuck er das Zeug gelernt hat. Genauso, wie er sich mit zweieinhalb selbst das Lesen beigebracht hat. Also, ich habe hier zwei Briefe von seinen Lehrern.« Gideon blätterte in der Mappe und zog zwei Schreiben hervor, die er sorgfältig komponiert und auf Papier mit gefälschtem Schulbriefkopf ausgedruckt hatte. »Den einen hat sein Mathematiklehrer geschrieben – demnach ist Tyler seiner Altersstufe weit voraus –, und der hier ist von seinem Schulleiter.« Die Briefe ergingen sich wortreich über Tylers überragendes Genie, machten aber auch einige sorgfältig
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