Gideon Crew 02 - Countdown - Jede Sekunde zählt
wodurch eine klebrige, ätzende Masse entstanden war, die noch immer nach Benzin stank. Fordyce’ behandschuhte Hand zeigte auf ein großes Bruchstück aus verbranntem Papier obenauf. Als Gideon sich darüberbeugte, fiel der Lichtstrahl seiner Taschenlampe auf die zerknitterte Oberfläche, und er konnte so gerade eben erkennen, was es gewesen war: eine Karte von Washington, D. C. beschriftet mit etwas, bei dem es sich offenbar um ausführliche Notizen in arabischer Schrift handelte. Mehrere Wahrzeichen waren eingekringelt, darunter das Weiße Haus und das Pentagon.
»Ich glaube, wir haben gerade eben das Zielobjekt gefunden«, sagte Fordyce grimmig.
Auf der Treppe ertönten Schritte. Am anderen Ende des Raums erschien eine Phalanx von Gestalten in weißen Anzügen.
»Wer sind Sie denn?«, ertönte eine Stimme über Funk.
»NEST«, sagte Fordyce knapp und stand auf. »Wir sind das Vorausteam – wir übergeben an euch.«
Im Strahl seiner Taschenlampe sah Gideon kurz Fordyce’ Augen hinter dem Visier. »Ja. Zeit zu gehen.«
14
S ie hatten mehrere Stunden in der FBI-Außenstelle in Albuquerque zugebracht und unzählige Formulare ausgefüllt, um einen Dienstwagen und ein Spesenkonto zu bekommen. Jetzt waren sie endlich unterwegs nach Santa Fe. Rechts erhob sich der große Bogen der Sandia Mountains, links floss der Rio Grande.
Sogar hier begegneten sie einem steten Strom überladener Fahrzeuge, die in die entgegengesetzte Richtung fuhren.
»Wovor laufen die weg?«, fragte Fordyce.
»Wenn ein Atomkrieg ausbricht, ist Los Alamos ein bevorzugtes Ziel, das weiß hier jeder.«
»Mag sein, aber wer redet denn von einem Atomkrieg?«
»Wenn die Atombombe der Terrorgruppe in Washington, D. C. hochgeht, weiß nur der liebe Gott, was passiert. Alles ist möglich. Und wenn sich Hinweise darauf finden, dass die Terroristen die Bombe von, sagen wir, Pakistan oder Nordkorea bekommen haben? Glauben Sie etwa, wir würden nicht zurückschlagen? Mir fallen ziemlich viele Szenarien ein, bei denen wir einen hübschen kleinen Atompilz über dem Berg dort aufsteigen sehen würden. Der übrigens nur zwanzig Meilen von Santa Fe entfernt ist und in Windrichtung liegt.«
Fordyce schüttelte den Kopf. »Sind Sie da nicht etwas vorschnell, Gideon?«
»Die Leute da draußen finden das nicht.«
»Herrgott noch mal«, sagte Fordyce. »Wir haben bestimmt vier Stunden mit diesen verdammten Typen verbracht. Dabei sind es nur noch neun Tage bis zum N-Day.« Er verwendete den Insider-Begriff für den mutmaßlichen Tag der Kernwaffenexplosion.
Sie fuhren eine Weile, ohne ein Wort zu wechseln.
»Ich kann diesen bürokratischen Mist nicht ausstehen«, erklärte Fordyce schließlich. »Ich muss einen klaren Kopf bekommen.« Er kramte in seiner Aktentasche, zog einen iPod hervor, schloss ihn ans Autoradio an und wählte einen Song.
»Laurence Welk, wetten«, murmelte Gideon.
Stattdessen dröhnte Epistrophy aus den Lautsprechern.
»Super!«, sagte Gideon verblüfft. »Ein FBI-Agent, der Monk hört? Sie wollen mich wohl veralbern.«
»Was glauben Sie denn, was ich mir anhöre? Motivationsvorträge? Sie sind also Monk-Fan?«
»Er ist der größte Jazz-Pianist aller Zeiten.«
»Was ist mit Art Tatum?«
»Zu viele Noten, zu wenig Musik, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Fordyce fuhr mit Bleifuß. Als der Tacho auf 160 Stundenkilometer kletterte, holte der FBI-Agent das Blaulicht aus dem Handschuhfach, stellte es aufs Dach und schaltete es ein. Der Fahrtwind und das Zischen der Reifen begleiteten Monks krachende Akkorde und plätschernde Arpeggien.
Sie lauschten eine Zeitlang schweigend der Musik, dann sagte Fordyce: »Sie kannten doch Chalker. Erzählen Sie mir von ihm. Was trieb den Mann an?«
Die Andeutung, er und Chalker könnten Kumpel gewesen sein, ärgerte Gideon. »Keine Ahnung.«
»Was haben Sie beide denn genau gemacht in Los Alamos?«
Gideon lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Sie hielten auf eine Reihe langsamerer Autos und einen LKW zu. In letzter Sekunde wich Fordyce auf die Überholspur aus. Der Wind rüttelte sie durch, als sie vorbeisausten.
»Also«, sagte Gideon, »wie schon erwähnt: Wir haben beide am Stockpile-Stewartship-Programm mitgearbeitet.«
»Und was genau soll das sein?«
»Geheimsache. Atomwaffen veralten, genau wie alles andere. Das Problem ist nur, wegen des Moratoriums können wir heutzutage keine Atomwaffentests mehr durchführen. Unsere Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen,
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