Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
einladen … Falls du das inzwischen vergessen hast: Es war dein Vorschlag, mal wieder gemeinsam auszugehen.«
Kalkbrenner konzentrierte sich auf den Verkehr.
»Ellen hat mir erzählt, was du gemacht hast. Du hast Frau Brodbeck in ihrem Ferienhaus untergebracht, mein Gott! Und dort hast du mit ihr …« Sie sprach nicht weiter.
Er stoppte auf der Prenzlauer Allee vor einer roten Ampel.
»Ich hoffe inständig, dass du weißt, was du tust.«
Er wollte sich nicht vor ihr rechtfertigen, er
musste
es auch nicht. Dennoch sagte er: »Rita, ich weiß es zu schätzen, dass du dich um mich sorgst. Aber in den letzten Jahren war mein Privatleben nichts als ein Trümmerhaufen. Ich gebe zu, an vielem war ich nicht unbeteiligt, aber Ellen hat es mir auch nicht leicht gemacht. Zum Schluss wusste ich nicht einmal mehr, was richtig oder falsch ist.«
»Und jetzt weißt du es?«
Die Ampel sprang auf Grün. »Ich glaube es zumindest.«
»Was soll das heißen?«
Kalkbrenner gab Gas. Die Reifen quietschten. »Rita, du weißt, was ich dir damit sagen will.«
»Nein, erklär es mir bitte!«
»Die Sache mit Ellen. Ich habe da mehr Hoffnungen reingesteckt, als nach all den Jahren der Konflikte und den Monaten des Schweigens noch erfüllt werden konnten.«
»Paul, vielleicht solltet ihr einfach noch mal miteinander reden.«
»Genau das ist das Problem – wir reden und landen immer wieder beim gleichen Thema: Ellen sitzt einsam daheim, und ich arbeite zu viel.«
»Ich dachte, ihr wolltet etwas ändern?«
»Ja, ich habe gedacht, ich könnte das. Ich könnte
mich
ändern, um noch mal neu anzufangen – mit meinem Leben, meiner Familie und meiner Arbeit. Aber ich glaube, während der letzten Tage ist mir etwas klar geworden: So viel Kraft mich mein Job auch kostet, am Ende ist er das, was ich will. Und er ist auch das, was ich am besten kann. Verbrecher finden. Sie fangen. Ich kann daran nichts ändern. Und ich will es auch nicht.«
»Und was ist mit deiner Tochter?«
»Jessy ist erwachsen. Sie wird es verstehen, wenn ich es ihr erkläre.«
»Hoffentlich hält sie dich nicht für verrückt.«
Manchmal erweisen sich die Dinge als gar nicht so verrückt, wie sie anfangs erscheinen.
Daran dachte er auch noch, als er am Potsdamer Platz den Wagen im Parkhaus abstellte und die Straße zum
Apollo
überquerte
.
Diesmal bewachte ein junger Mann in Pagenuniform die Tür. Kalkbrenner zahlte bei der barbusigen Dame an der Rezeption 80 Euro Eintritt und bekam im Gegenzug dafür ein Handtuch, Bademantel sowie Schlappen ausgehändigt. Er entkleidete sich, und obwohl er bereits in der Datsche geduscht hatte, wusch er sich noch einmal.
Niemand interessierte sich für ihn. Nur wenige Männer warfen verstohlene Blicke in die Runde, doch die Verunsicherung in ihren Mienen galt nicht ihm.
Beobachtet mich jemand?
Die meisten Männer gehörten einer Gruppe an, die mit Kumpel- und Machoplattitüden einer eigenen Dynamik folgte.
Im Bademantel schlenderte Kalkbrenner zur Lounge. Was immer er erwartet hatte, der Vergnügungsbereich des Bordells übertraf seine kühnsten Erwartungen. Eine S-förmige Theke aus Marmor beherrschte den Raum. Drumherum waren Sofas aus Satin und Plüsch arrangiert. Spitz zulaufende Fenster weckten Assoziationen mit einem exotischen Tempel. Säulen mit arabischen Motiven trugen die hohe, gewölbte Decke. Die Lounge glich einem orientalischen Palast, bot überbordenden Luxus und vermittelte gleichzeitig Gemütlichkeit.
Natürlich ging es am Ende trotzdem nur um das eine. Wenn es daran einen Zweifel gab, wurde er vom Anblick der nackten, wohlgeformten, gleichmäßig gebräunten Schönheiten auf High Heels ausgeräumt, die unverhohlen um die Männer in den weißen Frotteebademänteln buhlten. Bei einigen Herren beulte sich der Mantelstoff an bestimmten Stellen schon verdächtig aus. Viele gingen auf die Avancen ein und verschwanden mit einer Dame am Arm über die Treppe nach oben auf die Zimmer. Andere taten sich zuvor an einem gewaltigen Frühstücksbüfett gütlich.
Die offenherzig dargebotene Verfügbarkeit der Frauen verfehlte auch bei Kalkbrenner nicht ihre Wirkung. Obwohl er vor wenigen Stunden erst auf seine Kosten gekommen war, schoss ihm das Blut schon wieder in die Lenden. Er besann sich auf den Grund seines Besuches, stellte sich den Anblick der verkohlten Leichen im
Hermano
vor. Es half. Die Erregung schwand so schnell, wie sie gekommen war. Er hätte nicht gedacht, dass er mal froh über diese grässlichen
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