Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
politische Geschehen zu interessieren.«
Ehrenstein wippte ungeduldig auf seinen Füßen.
»Eins Ihrer ersten Projekte wird die Sanierung zweier Studentenwohnheime sein, bin ich da richtig informiert?«
»Irgendwie höre ich da einen Ton in Ihrer Stimme heraus, der mir überhaupt nicht gefällt.«
»Es wäre doch schade, wenn Sie dieses Prestigeprojekt nicht realisieren könnten. So viele Versprechungen, die Sie gemacht haben. Das würde sicher gar keinen guten Eindruck machen, wenn Sie so schnell den Schwanz wieder einziehen. Käme bei Ihren Parteikollegen nicht sonderlich gut an. Und was die Presse dazu sagen wird … na ja, reden wir besser nicht darüber.«
»Was wollen Sie mir damit sagen?«
»Jetzt haben Sie also doch Interesse an einem Gespräch mit mir, ja?«
»Was wollen Sie?«
Thomas Ehrenstein war noch jung.
Unverdorben.
Aber er hatte sich auf das Parkett der großen Politik gewagt, und folglich würde er auch tanzen müssen. »Wussten Sie, mein lieber Freund, dass ich einer der wichtigsten Supporter des Vereins bin? Also nicht ich direkt, aber eine meiner Firmen. Ich glaube, das Fax haben Sie erst kürzlich erhalten?«
Ehrenstein strich sich resigniert durch sein Haar. »Kommen Sie mit.«
Er führte sie in ein kleines, stickiges Büro mit schmalem Fenster, das auf einen verwilderten Kreuzberger Garten hinausging. Dossantos ließ sich ungebeten auf einem der zwei Stühle nieder, Bruno blieb an der Tür stehen. Ehrenstein setzte sich hinter den Schreibtisch, auf dem ein alter iMac brummte. »Also, was wollen Sie?«
»Nicht sehr viel. Eigentlich nur mit Ihrem Vater reden.«
»Was machen Sie dann hier bei mir?«
»Er sträubt sich dagegen, mit mir eine Unterhaltung zu führen.«
»Er wird dafür schon seine Gründe haben.«
»Aber er hat einen Sohn, auf den er stolz ist. Auf den er sicherlich auch hört, wenn er ihn um etwas Wichtiges bittet.«
»Darum, sich mit Ihnen zu treffen?«
Dossantos lehnte sich zurück. Unter seinem Ärmel rutschte die Goldkette hervor. »Ja, genau. Mit mir treffen. Am besten noch heute. Heute Mittag. Kriegen Sie das hin?«
131
Der Barkeeper griff nach der Cola, die er eben erst vor Kalkbrenner abgestellt hatte. Er kippte sie in den Ausguss und schenkte ihm stattdessen einen Whiskey ein. Einen Finger breit. Zwei Finger. Drei. Er knallte den Höllendrink auf den Tresen. »Hier, ich glaube, den brauchen Sie jetzt.«
Aus den Musikboxen im
Obsession
röhrte Steppenwolfs
Born to be wild,
doch Kalkbrenner kam sich keineswegs wild oder verwegen vor.
Ulli grinste. »Das sind doch Sie auf dem Foto, oder?«
Kalkbrenner drehte das Polaroid panisch um und stellte fest, dass er sein Abbild nur halb verdeckt hatte. 20 Jahre waren seit der Aufnahme vergangen, aber die Richtigkeit der Feststellung des Barkeepers war nicht zu leugnen.
Kalkbrenner nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. In Ullis Augen mochte die Bewegung ziemlich bescheuert aussehen, aber so fühlte er sich in diesem Augenblick. Was hatte er hier eigentlich zu suchen? Musste er nicht auf dem Revier sein und sich mit Rita und Berger über die weiteren Sicherheitsmaßnahmen für Judith beraten?
Stattdessen fragte er: »Und? Kennen Sie die Frau neben mir?«
Die Musik wurde noch lauter. Die Bühnenshow der Sadomaso-Lesben neigte sich dem Höhepunkt zu, genauso wie die beiden Hauptdarstellerinnen selbst, die dem Gipfel ihrer Lust entgegenstrebten. Sie stöhnten, und der DJ drehte die Musik noch einmal auf.
Der Barkeeper schwieg angesichts des Lärms. Kalkbrenner wollte seine Antwort auch nicht hören. Er griff nach dem Whiskey und stürzte ihn hinunter. Der Alkohol brannte in seiner Kehle. Das war in Ordnung, lenkte ihn für einen kurzen Augenblick ab.
Plötzlich erstarb die Musik. Die Bühnenlichter erloschen, die Mädels auf dem Podium verschwanden Richtung Backstage. Für Sekunden herrschte ungewohnte Stille. Die Ruhe vor dem Sturm. Dann erhob sich allmählich Stimmengemurmel in der Kneipe. Nur noch leise dudelte jetzt Rockmusik aus den Boxen, angenehm und entspannt.
In Kalkbrenners Gefühlsleben tobte dagegen das Chaos. Der Barkeeper schüttelte den Kopf.
»Ja, die kenne ich.«
Kalkbrenner kam wieder zu sich. Das Kopfschütteln war nur Wunschdenken gewesen, Ulli nickte.
»Das ist Caro?« Kalkbrenner war geneigt, das alles für einen Scherz zu halten. Für eine dumme Verwechslung.
Doch Ulli bestätigte: »Ja, das ist Caro. Sie war oft im
Obsession.
«
Zigarettenqualm und Schweiß drangen in
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