Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
und wartete darauf, dass sie Catharina die Spritze verabreichte. Als sie danach endlich das Zimmer verließ, trat er aus dem Schatten.
Erschrocken riss seine Frau die Augen auf, wandte ihm ihr Gesicht zu. Es war bleich und von Falten durchzogen. Durch die braunen Locken stahlen sich immer mehr graue Strähnen. Wo war ihre Schönheit geblieben?
»Du hast dich fein rausgeputzt«, stellte sie fest.
Er hatte den Anzug vom Mittag der Haushälterin zur Wäsche mitgegeben, in der Hoffnung, dass Magda das teure Moleskin noch retten konnte. Jetzt trug er einen schlichten Zweireiher ohne Krawatte und leichte Lederslipper ohne Socken. Dazu hatte er einen dezenten Duft von
Calvin Klein
aufgetragen. »Findest du?«
»Gehst du wieder poussieren?«
»Aus dem Alter bin ich raus.«
»Was willst du alter Mann dann noch im
Hermano
?«
»Mich ums Geschäft kümmern, ein oder zwei Stunden.«
»Natürlich, du und deine Geschäfte.«
Er hob die Schultern. »Der Laden gehört mir nun mal.«
Catharina hustete. »Und das lässt du natürlich jeden wissen.«
Er zog es vor, zu schweigen. Das
Café Hermano
war nun mal
der
Treffpunkt für die Szene, die Schickeria, für alle die, die was zu sagen hatten und die wussten, wie wichtig das Sehen und Gesehenwerden war.
»Vor allem die jungen Mädchen.« Seine Frau deutete ein Lächeln an. Für den Bruchteil eines Moments erkannte er jene Catharina, die sie gewesen war, bevor die Krankheit begonnen hatte, ihren Körper zu zerfressen.
Damals, als sie in einem seiner ersten Clubs gearbeitet hatte, wurde sie noch Cathy genannt. Sie war etwas Besonderes gewesen, schön und rassig, mit portugiesischen Vorfahren – so wie er.
Gerade deshalb hatten sie sich auf Anhieb gut verstanden, viel Spaß miteinander gehabt, nicht nur im Bett, auch im Alltag, nachts in den Discotheken und Clubs der Stadt. Dabei hatten sie allerhand Gemeinsamkeiten entdeckt, vor allem einen Lebenstraum: etwas Eigenes auf die Beine zu stellen und unabhängig zu werden. Sie hatten Erfolg und Geld gesucht. Reichtum und Luxus. Also hatten sie gemeinsam in diesen Traum investiert, wenn auch jeder auf seine eigene Weise. Inzwischen hatten sie alles erreicht, aber das spielte keine Rolle mehr.
»Miguel, ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Wenn ich in zwei Tagen ins Krankenhaus muss …«
»Bist du dir sicher, dass ich dich nicht begleiten soll?«
»Es ist nur eine Untersuchung.« Eine Schmerzattacke schüttelte ihren Leib. Sie brauchte eine Weile, bis sie weitersprechen konnte. »Und am Mittwochmorgen bin ich schon wieder daheim. Außerdem wird Sina bei mir sein.«
Sina war mehr als nur eine Krankenschwester. Angefangen hatte sie vor zehn Jahren in einem von Dossantos’ Lokalen, wo Cathy sie angelernt hatte. Dann war vor sieben Jahren die Krankheit bei Catharina entdeckt worden. Zuerst hatten die Ärzte Entwarnung gegeben: Es sei nur harmloses Rheuma. Doch dann waren die Schmerzen immer stärker geworden. Arthrose im Frühstadium, hatte es diesmal geheißen. Abermals hatten die Mediziner sich geirrt. Die Leiden seiner Frau waren schlimmer und schlimmer geworden. Die Ärzte waren verzweifelt, keiner ihrer Tests brachte sie der Lösung des Rätsels näher. Kein Medikament konnte seine Frau heilen. Es hatte Tage gegeben, an denen sich Catharina keinen Meter mehr allein fortbewegen konnte. Die ersten Apparaturen hatten Einzug ins Schlafzimmer gehalten.
Inzwischen hatten die beiden Frauen eine innige Beziehung zueinander entwickelt. Sina war in ihrem früheren Leben Krankenschwester gewesen, ein Job, den sie frustriert geschmissen hatte, weil es für viel Stress nur wenig Geld gab. Also hatte Dossantos ihr angeboten, sich fortan um seine Frau zu kümmern – für das Dreifache ihres einstigen Gehalts.
Doch auch die Nähe ihrer Freundin hatte Catharina nicht vor der Verbitterung bewahren können. Sie fand an nichts mehr Gefallen. Nicht an ihrem Haus, dem großen Garten, den stilvollen Möbeln, die sie in all den Jahren ausgesucht und gesammelt hatte. Nicht an den Louis-Vuitton-Handtaschen, den Ketten und Ringen aus Gold, den Manolo-Blahnik-Schuhen, den Prada-Kleidern. Nicht einmal mehr an ihrem Mann, an ihm, Miguel.
Die meiste Zeit des Tages lag sie nur noch auf der Couch, am Abend im Bett, verweigerte sich jedweder Unternehmung, guckte Fernsehen, las Zeitschriften und Bücher. Immerzu Bücher, als flüchtete sie auf diese Weise vor ihm in andere Welten. Aber eigentlich vegetierte sie nur vor sich hin, so als warte
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