Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
sie darauf, dass irgendwann der Tod an ihre Tür treten und sie erlösen würde. Und das war ziemlich wahrscheinlich.
Sie sagte: »Du weißt, wie die Ärzte die Chancen sehen, dass ich noch einmal gesund werde.«
Dossantos griff nach ihrer Hand. »Sie werden dir helfen, ganz bestimmt.«
Sie entzog ihm die Finger. »Was macht dich da so sicher?«
»Diese Ärzte kosten ein Vermögen. Es ist …«
»… immer das Gleiche bei dir. Geschäfte. Und Geld. Ach so, und dein verfluchter Ruf natürlich auch. So war es früher. So ist es heute. Als gäbe es nichts anderes in deinem Leben.«
»Doch, das gibt es«, sagte er und nahm erneut ihre Hand. Er tätschelte sie.
Abermals entwand sie sich ihm. »Meinst du etwa mich damit?«
»Natürlich, Cathy …«
»Ich bin nur eine von vielen Muschis, die du gevögelt hast.«
»Das ist was anderes …«
Sie hustete abfällig.
»… und das weißt du.«
»Ich weiß nur, dass du, Miguel, dir alle Weiber angelacht hast, die du wolltest. Wie hießen sie noch? Patricia? Beate? Esther? Caro? Ach, verflucht. Ich habe mir ihre Namen nicht gemerkt. Wozu auch? Es waren nur Muschis – genauso wie ich. Ich war nur …«
»Bitte, fang nicht wieder davon an, Cathy.«
»Und nenn mich nicht Cathy!«
»Catharina, lass die alten Zeiten ruhen!«
Sie hob ihre Hand, winkte ab. Wie ein Peitschenhieb kam die nächste Frage: »Was hast du mit Rico angestellt?«
Schon viel zu oft hatte sie nach ihm gefragt. Immer wieder hatte er gehofft, dass es diesmal das letzte Mal gewesen war und dass sie nie wieder davon anfangen würde, vor allem nicht jetzt, wo sie so krank und schwach war. Trotzdem versuchte sie es wieder und wieder, am liebsten hätte er sie dafür verprügelt. So wie damals, als er die Sache mit Rico herausgefunden hatte. Danach hatte er sie für ein halbes Jahr in ein Zimmer gesperrt, damit niemand die Verletzungen bemerkte. Er hatte ihr das Handy weggenommen und verboten, jemals wieder ohne ihn auszugehen. Er antwortete: »Ich habe nichts mit ihm gemacht.«
»Das ist mir schon klar«, presste sie hervor, »du selbst machst dir deine Finger nicht schmutzig. Es war Bruno, oder?«
Dossantos schwieg.
»Meinst du nicht, dass du mir nach all den Jahren eine Erklärung schuldig bist?«
»Das klingt, als hättest du es bei mir so schlimm gehabt?«
»Was weißt du schon über mich?«
»Dass du …« Er brach ab.
Sie vollendete den Satz: »… eine alte Hure bist! Ist es das, was du sagen wolltest?«
»Nein.«
»Deine Antwort kam zu schnell.« Sie keuchte. »Aber du hast ja recht: Ich bin eine alte Hure, die im Leben nicht mehr geschafft hat, als reihenweise Freier flachzulegen.«
»Sag so was nicht.«
»Fick dich!«
Früher hätte er sie auch für diese Unverschämtheit geschlagen. Jetzt lagen seine Hände friedlich im Schoß.
Das Schlafmittel begann zu wirken. Ihre Worte wurden langsam schleppender. Unter Anstrengungen hob sie ihren Kopf. »Ich möchte, dass du mir etwas versprichst.«
»Ja.«
»Samuel war heute bei mir. Er sah ziemlich übel aus.«
»Eine kleine Auseinandersetzung. Nichts Schlimmes.«
»Pass gut auf ihn auf.«
»Natürlich. Er ist auch mein Sohn.«
»Ich weiß«, flüsterte sie. »Er ist ein Hitzkopf. So wie du, als du jung warst. Aber ich möchte, dass du auf ihn aufpasst.«
»Das mache ich.«
»Versprich es mir!«
»Ich verspreche es dir, Catharina.«
Sie legte den Kopf zurück auf das Kissen. »Samuel ist wohl das einzig Vernünftige, was ich im Leben zustande gebracht habe.« Sie wandte das Gesicht ab. Kurz darauf entrang sich ihrer Kehle ein sanftes Schnarchen.
25
Es war früh am Abend, als Berger den Parkplatz am Alexanderplatz ansteuerte. Mit ihrem glutroten Licht schmeichelte die Sonne dem Präsidium. Zur gleichen Zeit machte sich Kalkbrenner mit Bernie auf den Weg an den Strand, auf der Terrasse der
Wilhelmshöhe
verteilte Hubertus die Staunton-Figuren auf dem Schachbrett.
In der dritten Etage des Polizeireviers angekommen, holte Rita Kalkbrenner zurück in die Wirklichkeit. Während Bernie vereinzelte Kuchenkrümel, die er auf dem Veloursboden erschnupperte, mit einem Schmatzen verdrückte, verkündete die Sekretärin: »Die Spurensicherung hat heute Morgen den vorläufigen Bericht zur zweiten Untersuchung in der Schule geschickt.«
Ihrem Tonfall entnahm Kalkbrenner, dass er die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr an die Ostsee begraben konnte. Weil er wenig Lust verspürte, sich durch einen Wust trockener Informationen zu
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