Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
nicht in die Kirche?«
Die Logik seines Ältesten wurde mit dessen zunehmendem Alter für von Hirschfeldt immer verwirrender. »Und ob. Du weißt doch, der Sonntag gehört dem Herrn.«
Patrick schnitt eine Grimasse. »Der sagt aber auch, am Sonntag soll man ruhen.«
Von Hirschfeldt grinste in sich hinein; dieser Argumentation war wenig entgegenzuhalten, da blieb nur die Flucht nach vorne. »Und jetzt gibt es Frühstück!«, sagte er und setzte Friederike ab.
»Nee«, quengelten die Kinder jetzt gemeinsam. »Wir wollen doch Eis!«
»
Nach
dem Frühstück!
Und dann zieht ihr euch auch eiligst an, denn heute haben wir ein volles Programm.«
Das Frühstück geriet zum wilden Chaos, das mit einer weinenden Friederike und einem mit Eis bekleckerten Frieder jr. endete. Die Anspannung, die auf von Hirschfeldt lag, übertrug sich auf seine Kinder. Auch Patrizia stellte fest: »Irgendetwas hast du doch?«
»Nein, es ist alles in Ordnung.«
Er setzte ein Lächeln auf, aber es war nicht das, was er in der Öffentlichkeit zeigte. Er war zu Hause. Hier brauchte er nicht zu schauspielern. Patrizia durchschaute ihn sowieso. Sie hatte Soziologie und Psychologie studiert, für kurze Zeit sogar als Psychologin gearbeitet, außerdem eine Zeit lang bei Amnesty International in Paris. Das war gewesen, bevor sie ihren zukünftigen Mann kennengelernt hatte. Sie hatten geheiratet, Kinder bekommen, und Patrizia hatte für die Familie ihren Job an den Nagel gehängt. Doch ihre Fähigkeiten hatte sie nie wirklich verloren. Wie zur Bestätigung sagte sie: »Ich sehe dir doch an, dass dich etwas beschäftigt.«
Weil er aber selbst noch nicht wusste, worüber er sich eigentlich den Kopf zerbrach, entwischte er ihr ins Bad, während Patrizia sich mit der Haushälterin um die Kinder kümmerte. Als er in Anzug und mit Krawatte in die Wohnstube kam, übernahm er den Nachwuchs. Unterdessen warf seine Frau sich in Schale. Kurz darauf klingelte es auch schon an der Tür.
Drei Limousinen warteten vor dem Haus. Der mittlere Wagen, ein mehrsitziger VW-Transporter, war für die Familie und Schmücker vorgesehen, in den beiden anderen saßen Personenschützer.
Während der Fahrt studierte der Referent den Inhalt eines kleinen Schnellhefters. »Also, wir fahren jetzt zur Kirche. Nach dem Gottesdienst kurzes Shakehands mit dem Bezirksbürgermeister.«
»Wird Presse anwesend sein?«
»Nein, nicht nach dem Gottesdienst. Allerdings im Wahllokal, wohin wir im Anschluss fahren. Ich habe Zusagen vom
Abendblatt,
der
Bild,
der
BZ
und dem
RBB
.
Sie schicken Fotografen und ein Kamerateam vorbei. Frieder, zuerst gehst du an die Urne. Anschließend macht Patrizia ihr Kreuzchen, und du kümmerst dich um die Kinder. Das kommt immer gut; familiäre Eintracht beim Wählen. Danach habt ihr zwei Stunden Zeit fürs Mittagessen, bevor wir zur Party ins Adenauer-Haus fahren. Das war’s dann für heute.«
»Nicht ganz«, sagte von Hirschfeldt und schaute seinen Referenten fragend an.
»Ach so.« Schmücker reichte ihm den
Kurier
. An seinem betroffenen Gesicht erkannte von Hirschfeldt, dass dieser die Zeitung bereits gelesen hatte und offensichtlich fündig geworden war.
Von Hirschfeldt studierte aufmerksam die einzelnen Meldungen. In Sachen Amoklauf hatte die Polizei offenbar noch immer keine neue Spur. Was hatte dieser Dr. Salm noch gesagt? Neue Erkenntnisse? Von Hirschfeldt speicherte die Frage in seinem Gedächtnis ab und nahm sich vor, schon am morgigen Montag nachzuhaken. Er würde Druck machen, ganz sicher reichte es nicht aus, einfach nur einen weiteren Kommissar mit dem Fall zu betrauen, wer immer dieser Kalkbrenner auch sein mochte.
Im Bericht über die Einweihung wurden weder die unschöne Szene mit Lars noch der Disput mit Dossantos erwähnt. So weit hatte die Kanzlerin also recht behalten, doch von Hirschfeldt konnte beim besten Willen keinen Hinweis darauf entdecken, was ihren Unmut hervorgerufen hatte.
Der Glockenturm der katholischen St.-Ludwig-Pfarrgemeinde in Charlottenburg kam in Sicht. Von Hirschfeldt begann bereits jetzt zu beten.
Lass es nicht so schlimm sein, bitte!
Zügig blätterte er die Zeitung weiter durch. Noch immer fand er nichts. Dann war er bei der letzten Seite angekommen, die dem Boulevard vorbehalten war: Schickimickis, Promis und Partys.
Schlimm ist gar kein Ausdruck!
Auf einem der Bilder hing Lars Hönig förmlich zwischen zwei muskulösen Männern, die ihn durch eine Discothek schleppten. Der Bildunterschrift zufolge war
Weitere Kostenlose Bücher