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Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Titel: Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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das aber auch schon alles, woran er Freude hatte. »Was ich sagen will, ist doch nur: Ich kann mir einen angenehmeren Tischnachbarn für unser Mittagessen vorstellen.«
    »Kann es sein, dass du letzte Nacht ein bisschen zu lange auf den Beinen warst?«
    »Ich war nicht auf den Beinen.«
    »Die Beine waren um dich geschlungen?«
    »Das kommt der Sache schon näher.«
    Dossantos beobachtete die finsteren Wolken, die der Wind über Berlin trieb. Allmählich ließen seine Kopfschmerzen nach.
    Anders als unter der Woche herrschte auf dem Alexanderplatz gähnende Leere. Die Geschäfte waren geschlossen, und auch sonst gab es für Touristen – vom Fernsehturm mal abgesehen – nur wenig zu sehen. Weil das Wetter mies war und die Aussichtsplattform zwischen tief hängenden Wolken verschwand, standen nicht einmal davor Besucher.
    Mit seinen beiden Begleitern erklomm Dossantos die Stufen des
Hermano.
Die Spuren der Nacht waren in dem Lokal schon längst beseitigt worden. Statt Frauen in Cocktailkleidern und Stilettos hasteten jetzt Kellner in frisch gebügelten Anzügen durch den großen Raum.
    Boccachi winkte sie zu einem etwas abgelegenen Tisch am hinteren Ende. Er trug schon wieder einen Nadelstreifenanzug. Eigentlich gab es nur selten Momente, in denen er keinen trug. Manchmal kam Dossantos der Verdacht, dass sein Freund bereits mit einem Nadelstreifenanzug zur Welt gekommen war.
    Neben Claudio erhob sich David Block. Er war schmächtig, blass, mit dunklem, strähnigem Haar. Er war fast bis zur Unsichtbarkeit unauffällig. Dossantos umarmte ihn. »Wie geht es deinem Bein?«
    »Der Wetterumschwung macht mir zu schaffen.«
    »Es soll wieder besser werden.«
    »Ja«, sagte Block und setzte sich zurück an den Tisch. Dort verfiel er wenig überraschend in Schweigen.
    Wie jeden Sonntag servierte der Kellner unaufgefordert Bica, wie man den portugiesischen Espresso nannte. Dossantos hatte die Hälfte getrunken, als Samuel mit seinem Leibwächter Moussa aus dem rückwärtigen Teil des Restaurants auf ihn zukam. »Papa, ich hab dem Koch in den Topf geguckt. Das Mittagsmenü sieht verlockend aus: Bacalhau.«
    Gesalzener und getrockneter Kabeljau, die portugiesische Nationalspeise. Der Koch wusste, wie er seinen Chef zufriedenstellen konnte. »Dann nehmen wir den doch einfach. Ist jemand dagegen?«
    Niemand lehnte ab, also nahm der Kellner die Bestellung auf. Dossantos wandte sich an Block. »Und, mein Freund? Was treibt dich an einem Sonntag in die Kanzlei?«
    »Die Arbeit.«
    »Genau deshalb mögen wir dich.« Dossantos klopfte ihm auf die Schulter. »Zu jeder Zeit ein fleißiger kleiner Zahlenschubser.«
    Blocks Gesicht verfinsterte sich. »Es ist ja nur so, dass ich …«
    »Hey! Moment mal!«, meldete sich Samuel zu Wort. »Wollt ihr etwa übers Geschäft reden?«
    »Nein, das wollen wir nicht«, beschwichtigte Dossantos, der ebenfalls wenig Lust auf ein Arbeitsgespräch verspürte.
    Doch Samuel war bereits wieder aufgestanden und hatte sich nach hinten ins Büro verdrückt. Dossantos konnte es seinem Sohn nicht einmal verübeln. Er gähnte. David Block lächelte.
    »Worüber lachst du?«
    Davids Miene erstarrte. »Es ist, ich meine …«
    »Lass uns den geschäftlichen Kram für heute einfach vergessen.« Dossantos hieb ihm abermals auf die Schulter. »Ich vertraue dir voll und ganz.«
    David erwiderte nichts.
    »Das kann ich doch, oder?«
    Sein Angestellter sah ihn mit großen Augen an. »Wie bitte?«
    »Dir vertrauen?«
    David riss die Lider noch weiter auf. »Wann konntest du das denn nicht?«
    Dossantos brach in Lachen aus. »Ja, mein Freund, du hast recht. Wann konnte ich das denn nicht!«

38
    Kalkbrenner erklomm die Stufen und überlegte derweil, ob er die Stimme der Frau hätte erkennen müssen. Er kramte in seinem Gedächtnis nach dem Namen Brodbeck, doch er konnte sich nicht an ihn erinnern. Allerdings ließ die plötzliche Vertrautheit, mit der die Witwe seinen Vornamen ausgesprochen hatte, keinen Zweifel daran, dass sie glaubte, ihm schon einmal begegnet zu sein.
    Noch bevor er die Tür erreicht hatte, öffnete sie sich, und eine Frau in einem schwarzen, hochgeschlossenen Kleid erschien im Rahmen. »Paul.«
    »Judith?«
    Sie nickte.
    »Ich wusste nicht, dass du die …« Er schluckte. Sein Mund war plötzlich trocken. »Also, das mit deinem Mann, das tut mir leid.«
    »Danke«, sagte sie. »Möchtest du nicht reinkommen?«
    Ihm fiel auf, dass er sie noch immer unverwandt anstarrte. »Äh, gerne, ja.«
    Judith

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