Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
war, dass er andere Pläne hatte.
Heilands Worte dröhnten aus den Lautsprechern: »… die Hoffnung unserer Stadt. Mit an meiner Seite kämpft mein guter Freund und Kollege, der Fraktionsvorsitzende der Berliner CDU, Dr. Frieder von Hirschfeldt.«
Wieder brandete Applaus auf. Von Hirschfeldt nahm die erste der Stufen, die hinauf zur Bühne führten. Bevor er sie betrat, sah er noch einmal ernst zu Hönig hinüber, der unter dem strengen Blick zu schrumpfen schien.
Jubel mischte sich jetzt unter den Beifall. Von Hirschfeldt holte tief Luft. Es war, als hätte er zugleich ein Lachen eingeatmet. Wie von selbst lag plötzlich ein breites Lächeln auf seinen Lippen. Nach etlichen Seminaren und Schulungen seines Freundes, denen er beigewohnt hatte, war das für ihn Routine. Die Objektive der Fernsehkameras richteten sich auf ihn, um seine Worte in die Berliner Wohnzimmer zu übertragen.
2
Paul Kalkbrenner faltete die Zeitung zusammen und beschloss, sich für den Rest des Tages zu langweilen. Jemand hatte mal behauptet, Langeweile sei Selbstmord auf Raten. Aber das Tagesgeschehen bereitete ihm nur Magenschmerzen. Da nahm er doch lieber Trägheit als Ursache seines möglichen Dahinscheidens in Kauf.
Aus den kleinen Lautsprechern des Kassettenrekorders klang Deep Purples
Lay down, stay down.
Kalkbrenner sank an die Rückenlehne des Sofas zurück.
Let me know you feel it. You know I really need it. Keep on pushin’ for more. Lay down, stay down.
Als der Song zu Ende war, erhob sich Kalkbrenner von der Couch. Das Geräusch war für Bernie Zeichen genug zum Aufbruch. Mit einem Satz sprang der Hund aus seinem Korb und begann zu kläffen.
Obwohl der Vierbeiner Kalkbrenner fast bis zur Hüfte reichte, brachte er nur das klägliche Kläffen eines Dackels zustande. Überhaupt lag mit dem Hund so einiges im Argen. Sein Name zum Beispiel: Der war alles andere als geistreich. Aber es war der, den man ihm im Tierheim gegeben hatte: Bernie, der Bernhardiner.
»Warte!«
Geduldig hockte sich der Hund auf seine Hinterläufe, während Kalkbrenner sich ins Badezimmer begab. Auf gerade einmal vier Metern im Quadrat drängten sich Dusche, Waschbecken, Kloschüssel und ein schmaler Sims für Rasierer, Aftershave und eine Tube Sonnencreme. Er griff nach Letzterer, verteilte etwas auf Kinn, Wangen und Stirn. Er näherte sein Gesicht dem Spiegel. Die krankhafte Blässe war verschwunden, seine Haut schimmerte jetzt in einem gesunden Braunton. Auch die Falten um seine Augen herum fielen nicht mehr auf, und die grauen Strähnen im Haar waren zwar nicht verschwunden, störten aber nicht länger. Er strahlte eine gewisse Reife aus, ohne alt zu wirken. So wie Sean Connery in
Sag niemals nie,
der gestern Abend im Fernsehen gelaufen war. Tatsächlich glaubte Kalkbrenner sogar, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem schottischen Mimen erkennen zu können.
In diesem Moment klingelte das Handy. Es gab nur wenige, die seine Nummer besaßen, und noch weniger benutzten sie auch. Er nahm ab, senkte seine Stimme und sagte: »Hier Bond, James Bond.«
»Paps?«, zweifelte es aus dem Motorola. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Na ja, die Abgeschiedenheit macht sich allmählich bemerkbar.«
»Was soll das heißen?«
»Blödsinn, Jessy, war nur ein Spaß. Es könnte mir nicht besser gehen. Ich bin entspannt und ausgeruht. Ich fühle mich …«, er machte eine Pause, aus dem Rekorder tönte jetzt Deep Purples
Under the gun,
»… wie James Bond.«
»Hä?«
»Noch ein dummer Scherz. Was gibt’s?«
»Ich wollte nur hören, wie es dir geht.«
Bernie saß inzwischen schon an der Tür zum Garten. »Wir wollten uns gerade auf den Weg zum Strand machen.«
»Scheint die Sonne?«
»Jeden Tag.«
»Du bist so gemein!«, beschwerte sich seine Tochter. »Warum sagst du nicht, dass es regnet oder schneit?«
»Soll ich dich etwa belügen?«
»Solange ich hier in Berlin hocke und fürs Studium büffeln muss – ja, bitte!«
Wieder lachte er. Jessy kicherte. Beide genossen das ungewohnte Gefühl der Vertrautheit. Aus einem Impuls heraus sagte er: »Was hältst du davon: Sobald du die Klausuren hinter dir hast, kommst du mich einfach zusammen mit Leif für ein paar Tage besuchen.« Für einige Sekunden war von seiner Tochter nichts zu hören. »Jessy, bist du noch dran?«
»Ist das dein Ernst?«
»Hätte ich es sonst vorgeschlagen?«
»Ich dachte, du wolltest …«
»Jessy!«, unterbrach er sie.
»Ja, Paps?«
»Mir geht es gut.«
»Wirklich?«
»Sehr
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