Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
wundert nicht, dass es zu solch einem schockierenden Ereignis wie an der Berthold-Hauptschule in Neukölln gekommen ist.«
Das Fernsehbild zeigte den Politiker nun in der Totalen. Seine kurzen blonden Haare waren gescheitelt. Aus dem solariumgebräunten Gesicht funkelten helle und durchdringende Augen, seine Zähne strahlten. Ein Siegertyp, mit dem sich Dossantos durchaus verbunden fühlte, auch wenn von Hirschfeldt wohl jede Gemeinsamkeit vehement abstreiten würde.
Dossantos hörte ihn sagen: »Wir werden in den Problembezirken unserer Stadt wieder für Ruhe sorgen. Wir werden der Jugendgewalt entgegenwirken. Kurz: Wir werden der Ausbreitung von Kriminalität mit aller Härte begegnen – möglicherweise werden wir dazu sogar einen Krisenstab einrichten. Wir werden dem Filz in den Behörden Einhalt gebieten – mit einer Abteilung für Innere Angelegenheiten. Und wir werden der organisierten Kriminalität, die von den laxen Zuständen in unserer Stadt profitiert, endlich ihre Grenzen aufzeigen – mit einem massiv erhöhten Polizeiaufgebot. Denn wir Berliner haben die Nase voll von Schurken, die sich Geschäftsleute nennen – oder sogar Männer der Ehre – und hinterrücks Recht und Gesetz, Moral und Anstand mit Füßen treten. Meine lieben Freunde, wer am Sonntag die CDU wählt, bekommt in Berlin endlich wieder eine starke Hand.«
Als das Gejohle seiner Anhänger ertönte, schaltete Dossantos den Ton ab. Genug der Polemik. Stille kehrte in dem Wohnzimmer ein. Nur das Surren der Klimaanlage war zu vernehmen, die die Temperatur in den Räumen der Finca auf angenehmen 22 Grad hielt. Dossantos streifte seine halb offenen Nubuk-Slipper von den Füßen und kühlte die nackten Sohlen an dem Marmorboden. Sich selbst rückte er auf dem Sofa in eine bequemere Position. Die Couchgarnitur bestand aus weißem Leder und hatte mehr als das Jahresgehalt jenes Reporters gekostet, der ihm jetzt gegenübersaß und fragte: »Von Hirschfeldt meinte unter anderem Sie, als er von den Geschäftsmännern sprach, oder?«
Dossantos breitete lässig die Arme aus, um sie mit einer gönnerhaften und nachsichtigen Geste zu beiden Seiten auf die Sofalehne zu legen. An seinem linken Handgelenk funkelte eine Rolex, am rechten ein Goldkettchen. »Wie kommen Sie denn darauf?«
»Nun, es gibt Leute, die behaupten, Sie seien …«
»… ein seriöser Geschäftsmann, Herr Sackowitz.«
Dossantos beugte sich vor. Die Goldkette auf seiner Brust klimperte verspielt. Er drückte einen kleinen, unscheinbaren Knopf, der in das weiße Holz des Beistelltischchens eingelassen war. Jedes der Finca-Zimmer verfügte über diesen Schalter, das halbe Dutzend Schlafgemächer ebenso wie die Kleiderzimmer im Obergeschoss, das Esszimmer, der Arbeitsraum und der Wintergarten im Erdgeschoss. Selbst das Heimkino, das Fitnesscenter, der Partyraum und der Indoor-Swimmingpool im Keller waren damit ausgestattet. Wann immer Dossantos den Knopf betätigte, klingelte es in der Küche, und ein Licht leuchtete auf einem Schaltplan auf. So konnte Magda, die kroatische Haushälterin, erkennen, wo nach ihr verlangt wurde.
Die kleine, propere Frau mit der weißen Schürze hatte ihr Haar wie immer zu einem Dutt gebunden. »Magda«, bat Dossantos, »bringst du noch etwas Champagner?«
»Ja, gern, Herr Dossantos.« Kurz darauf kehrte sie mit einer Flasche im Eiskübel zurück. Sie füllte ein kelchförmiges Glas, das Dossantos an sich nahm. »Und Sie sind sich wirklich sicher, Herr Sackowitz, dass Sie nicht doch etwas mit mir trinken wollen?«
Magda verharrte neben dem Tisch, die Champagnerflasche erwartungsvoll in der Hand.
Sackowitz leckte sich die Lippen. »Danke, äh, nein …«
»Er kommt aus Portugal. Ich lasse ihn regelmäßig aus meiner Heimat importieren.«
»… dafür ist es ein bisschen zu früh.«
Dossantos hatte diese oder eine ähnliche Reaktion erwartet. Er hatte Erkundigungen über Harald »Hardy« Sackowitz einholen lassen, nachdem dieser vor ein paar Tagen seine Interviewanfrage eingereicht hatte. Seitdem wusste Dossantos: Das schwammige Gesicht, die geplatzten Äderchen auf den Wangen und die raue Stimme zeugten von einer Vergangenheit, in welcher der Reporter des
Berliner Kurier
mit sehr viel Leidenschaft dem Alkohol zugeneigt gewesen war – ohne Rücksicht auf die Tagezeit. Seit einer Herzattacke vor wenigen Monaten schien er allerdings trocken zu sein.
»Okay, Magda, danke.«
Die Haushälterin stellte die Flasche in den Eiskübel und wollte
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